Bei Sätzen wie "berühmtestes Schloß Rumäniens" und "Wartezeiten von mehreren Stunden" habe ich eine ungute Vorahnung von dem, was uns erwartet. Ich stelle mir eine überladene und überaus kitschige Anlage vor, ein Prunk- oder typisches Märchenschloß und richte mich innerlich auf eine Art "Pflichttermin" ein.
Rumänien besitzt nach Russland die größte Population von freilebenden Braunbären in Europa. Viele von ihnen ereilte ein sehr trauriges Schicksal: Als Bärenjunge gefangen und von ihrer Mutter getrennt, wurden (und werden sie manchmal heute noch) in kleinen Käfigen oder an Ketten gehalten, mussten zur Belustigug der Touristen im Hinterhof mancher Restaurants, in Klöstern oder im Zirkus Kunststücke aufführen, wurden vernachlässigt und gequält.
Was Bram Stoker wohl sagen würde, wenn er sehen könnte, was für Blüten der Dracula-Mythos, den er Ende des 19. Jahrhundert niederschrieb, heute in Rumänien treibt? Falls er Schloß Bran, das majestätisch über dem Bran-Pass thront, jemals mit eigenen Augen gesehen hat, so war es früher sicherlich noch von den alten Bauernhäusern und Feldern umgeben, die man heute nur noch in dem kleinen Dorfmuseum unterhalb des Burgschlosses besichtigen kann.
Am Morgen erwartet uns ein reichhaltiges Buffet zum Frühstück, es gibt Spiegeleier, Wurst, Käse, Oliven, Tomaten, Paprika, Müsli, Honig, Johannisbeermarmelade und selbstgemachten Apfelkuchen. Der Himmel ist noch bedeckt und im Schatten ist es recht kühl. Und so lassen wir uns Zeit bis wir ins Nachbarörtchen Cisnadie aufbrechen.
Wir verlassen Sibiu in südlicher Richtung. In dem angrenzenden Waldgebiet sieht man Radwege, die ersten überhaupt, die uns bewußt in Rumänien auffallen. Insgesamt ist das hier im Frühling und Sommer mit Sicherheit ein wunderschönes Erholungsgebiet.
Unser Ziel ist der nahegelegene Campingplatz Ananas. Doch leider stehen wir dort vor einem verschlossenen Tor. Er macht erst Mitte April auf. Und so fahren wir ins Dorfzentrum von Cisnadioara, das unterhalb einer romanischen Wehrkirche am Fuße des Michelsberges liegt.
In Hermannstadt, wie der deutsche Name von Sibiu lautet, hat sich im letzten Jahrzehnt eine Menge getan. Als wir vor 10 Jahren hier waren glich Sibiu in der Innenstadt einer einzigen riesigen Baustelle, die großen Plätze waren fast vollständig gesperrt. Heute führt eine prächtige Einkaufstraße direkt auf den Hauptplatz, die prunkvollen Gebäude sind frisch renoviert und das Zentrum gleicht ein wenig einem kleinen Wien. Auch die Menschen, die die Sonnenstrahlen auf einer der zahlreichen Bänke genießen oder ihre Gesichter vor einem der Cafés ins warme Licht strecken, erinnern in der Mehrzahl an die schickere Klientel, die man auch in der österreichischen Hauptstadt antreffen kann.
Im äußersten Südwesten Siebenbürgens bietet sich dem Reisenden zunächst ein sehr trostloses Bild: Zwischen aufgewühlter Erde und Industriebrachen ragen verrostete Metallgerippe und fensterlose Betonklötze in den Himmel.
Nur wenige Kilometer hinter dem Grenzdorf Cenad liegt Ruths Geburtsort Sânnicolau Mare. Inzwischen ist auf unseren Reisen nach Rumänien die Gemeinde zu unserem stets ersten Anlaufpunkt und der Besuch dort bereits zu einem festen Ritual geworden. In der kleinen Stadt wird überall gebaut und renoviert, und trotzdem finden sich an jeder Ecke Kindheitserinnerungen.
Am Mittwoch ist es endlich soweit, unser Dicker ist gepackt und startklar, und so geht es um die Mittagszeit in Bad Wimpfen los. Bei herrlichem Sonnenschein kommen wir zügig voran und erreichen ohne Zwischenfälle den nur als Durchgangsstation geeigneten Campingplatz Wien-West.