Die Klänge der Kantele, jenes uralten Saiteninstruments, das schon Väinämöinen, einer der Protagonisten des finnischen Nationalepos Kalevala, spielt, schweben verträumt durch den Raum. Die junge Frau singt dazu mit heller Stimme ein Hochzeitslied, keines aus der Kalevala, wie sie uns erzählt, sondern aus einem der zahlreichen Liederbände, die zum reichen dichterischen Erbe Finnlands zählen. Sie ist eine Art Nachfahrin der heute fast ausgestorbenen Tradition der Runensänger, die in früheren Zeiten Geschichten und Legenden in Versform von einer Generation zur nächsten mündlich weitergaben. "Runen" steht in Finnland nicht für das bekannte altnordische Alphabet, sondern sie sind einfach Gedichte, oft als Gesang vorgetragen.
"Ladoga-Valaamo war damals finnisch," sagt die alte Frau fast so, als müsse sie etwas rechtfertigen. "Die Mönche hatten das Recht, die Ikonen mitzunehmen." Ihr Englisch ist gut und auf ihrer blauen Daunenjacke prangt ein Angry Birds-Aufnäher. Sie steht am Eingang der alten Kirche von Neu-Valaamo und ermuntert uns, den Innenraum des schlichten Holzbaus zu photographieren. Der Ladoga-See sei damals, im Winter 1939/40, tief zugefroren gewesen. Marshall Mannerheim habe Soldaten gesandt, sie beluden zusammen mit den Mönchen Schlitten und Fuhrwerke, gut die Hälfte aller Besitztümer des Klosters konnten sie mitnehmen. Auf einige der geretteten Ikonen scheint jetzt die selten mal aufblitzende Nachmittagssonne. Das Kloster Valaamo von einst ist nur noch ein sentimentales Gemälde an der Wand der kleinen Kirche.
"Was hat euch in das kleine Nest Juva verschlagen?" fragt uns der junge Ville als wir zusammen mit ihm über den Schotterweg brettern und der Anhänger mit dem Kanu hinter seinem Wagen kräftig schlingert. Um ehrlich zu sein hätten wir vermutlich nie in Juva gehalten, hätten wir nicht vom "Eichhörnchenweg" gelesen, einer Kanuroute entlang kleiner Flüsse und über Seen inmitten menschenleerer Natur.
Eigentlich wollten wir nur schnell nach dem Weg zur Insel Kyläniemi fragen. Als wir das kleine Museumscafé im Örtchen Taipalsaari betreten, kommt es uns ein wenig so vor als platzten wir in die Wohnküche eines finnischen Haushalts. Es duftet nach frischem Kaffee und ehe wir uns versehen sitzen wir mit einer freundlichen Familie an einem Tisch und aus unserer anfänglichen Frage wird ein Gespräch. Bereitwillig geben sie uns Tipps für Wanderungen um Taipalsaari herum und wenn eine Information gerade nicht zur Hand ist, wird schnell auf dem Smartphone nachgeschaut. Sie erzählen uns auch, dass am nächsten Tag im Ort ein kleines Fest mit zahlreichen sportlichen Betätigungen stattfinden würde. Heikki, der Familienvater, berichtet ein wenig von Russland, wo er jahrelang immer wieder zum Tanken hingefahren sei, um so günstiger zu seiner Arbeitsstelle in Westfinnland zu kommen. Auch wenn er nichts Negatives erzählt, so scheint doch den Russen gegenüber ein klein wenig Zurückhaltung spürbar zu sein.
Die freundliche Verkäuferin am Marktstand häuft Kartoffeln und Gemüse auf den Plastikteller und dann obendrauf gegrillten Lachs und die kleinen, gebratenen Maränen, auf finnisch Muikku. Wir sind vom ersten Bissen an begeistert; den zarten, salzigen Fisch kann man mit Kopf und Gräten verspeisen, und er eignet sich auch wunderbar als Snack mit Knoblauchsauce auf die Hand. Jürgen probiert poro, Rentier, auch nicht übel. Wir sitzen am Hafen, zwischen bunten Ständen voller Leckereien, zwischen kleinen Segelyachten und zahllosen Touristenkähnen, mit schöner Aussicht auf das Rathaus und den schneeweißen Dom. Helsinki wimmelt hier vor Besuchern und Einheimischen, und doch findet man schnell ein gemütliches Plätzchen.
Auf unserem langen Weg nach Finnland durchfahren wir gleich mehrere spannende Länder, von denen wir aber vor allem Straßen und hie und da einen schönen Campingplatz zu sehen bekommen. Jetzt, wo wir im Land der tausend Seen angekommen sind, können wir nur sagen, dass wir sehr gerne mehr Zeit in jedem der vier durchquerten Länder gehabt hätten.
.. sind wir noch nicht angekommen. Unserem ursprünglichen Plan nach sollten wir um diese Zeit bereits auf dem besten Wege dort hin sein. Familiäre Gründe zwangen uns aber, dieses Unterfangen um ein paar Jahre zu verschieben. Die neue Route führt uns Richtung Nordosten und zunächst in die Nähe von Dresden, wo zumindest ein kleines Stück Mongolei auf dem Gelände von Freds Ferienwohnungen ein vorläufiges Zuhause gefunden hat. Dort steht nämlich ein wenig versteckt hinten im Garten eine echte, traditionelle mongolische Jurte.