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Highland Games am Saimaa-See

Eigentlich wollten wir nur schnell nach dem Weg zur Insel Kyläniemi fragen. Als wir das kleine Museumscafé im Örtchen Taipalsaari betreten, kommt es uns ein wenig so vor als platzten wir in die Wohnküche eines finnischen Haushalts. Es duftet nach frischem Kaffee und ehe wir uns versehen sitzen wir mit einer freundlichen Familie an einem Tisch und aus unserer anfänglichen Frage wird ein Gespräch. Bereitwillig geben sie uns Tipps für Wanderungen um Taipalsaari herum und wenn eine Information gerade nicht zur Hand ist, wird schnell auf dem Smartphone nachgeschaut. Sie erzählen uns auch, dass am nächsten Tag im Ort ein kleines Fest mit zahlreichen sportlichen Betätigungen stattfinden würde. Heikki, der Familienvater, berichtet ein wenig von Russland, wo er jahrelang immer wieder zum Tanken hingefahren sei, um so günstiger zu seiner Arbeitsstelle in Westfinnland zu kommen. Auch wenn er nichts Negatives erzählt, so scheint doch den Russen gegenüber ein klein wenig Zurückhaltung spürbar zu sein.

Vielleicht liegt es an der unschönen jüngeren Vergangenheit, die die beiden Länder immer wieder aneinandergeraten ließ. Heute noch würden Gebeine von finnischen Soldaten auf russicher Seite gefunden, fügt Heikki hinzu; man versuche, sie zu identifizieren, bevor man sie begräbt, manchmal mit Erfolg, manchmal nicht. Grinsend berichtet er, dass ausgerechnet in der momentanen Zeit der Spannungen zwischen Europa und Russland die finnische Armee all ihre Reservisten angeschrieben habe, sich bereitzuhalten - worauf natürlich niemand Lust habe. Als Heikkis Frau hört, daß wir im kommenden Monat rüber nach Russland wollen, fragt sie uns ob wir das geeignete Auto für die dortigen Straßen haben. Wir nicken. Und ob wir eine Winde haben, falls wir fesstecken, hakt sie nach. Wir schütteln den Kopf und grinsen. Eine Winde stand eigentlich auch noch auf der Liste der Dinge, die wir dem Dicken gönnen wollten, macht sie doch durchaus Sinn, vor allem wenn man nur mit einem Fahrzeug unterwegs ist. Aber das Reisebudget hat das nicht mehr zugelassen. Wir hoffen, daß wir mit vorausschauender Fahrweise, Traktionsblechen und wenigstens zwei neuen Reifen auf der Hinterachse nicht steckenbleiben. Und falls doch, daß ein russischer LKW oder Bauer vorbeikommt und uns rausszieht.

Wir fühlen uns sehr wohl in dem kleinen Café mit heimeliger Einrichtung aus alter Zeit und nach den vielen Eindrücken aus Helsinki sind wir nun gefühlsmäßig endlich richtig in Finnland angekommen.

Tags zuvor brechen wir in Helsinki auf und passieren kurz vor Lappeenranta die "Grenze" nach Karelien, seit dem zweiten Weltkrieg eine geteilte Region. Heute liegt der Großteil auf russischem Staatsgebiet, der Rest bildet den Südosten von Finnland. Aus der turbulenten Zeit vor der finnischen Staatsgründung 1917, als Schweden und Russland in ständigem Kampf um die finnischen Gebiete lagen, stammt die Festung von Lappeenranta, von deren ehemaligem Nutzen heute noch viele Reste dicker Mauern zeugen. Das Innere der Wehranlage Linnoitus ist heute vielfach genutzt, neben Wohnhäusern gibt es viele kleine Geschäfte und Cafés.

Am Hafen der Stadt gibt im Sommer jedes Jahr ein kleines Areal, in dem beeindruckende Sandskulpturen unter wechselnden Themen entstehen; gerade scheint es um Superhelden und Science-Fiction zu gehen, und auch Albert Einstein wurde in bekannter Pose verewigt. Noch ist die Ausstellung nicht eröffnet, dafür kann man den Künstlern bei der Arbeit zuschauen.

Unser Campingplatz in Lappeenranta liegt wunderschön unter hohen Kiefern und Birken, ist nahezu leer und in wenigen Schritten ist man am Saimaa-See - allerdings mit unschöner Aussicht auf Wohnblöcke und einen Betrieb des allgegenwärtigen finnischen Papierherstellers Stora Enso.

Natürlich folgen wir Heikkis Rat und finden uns am Morgen nach unserer Begegnung am kleinen Hafen von Taipalsaari ein. Die örtlichen Sportsbegeisterten treten an zum Triathlon. Zuerst wird unter den Anfeuerungsrufen der herbeigekommenen Zuschauer eine Runde im See geschwommen, dann geht es auf die Drahtesel und schließlich werden in der bereits ordentlich herunterbrennenden Sonne noch ein paar Runden gelaufen. Einige Teilnehmer machen aus dem Dreikampf einen Zweikampf und steigen erst mit dem Radfahren in den Wettkampf ein. Denn, so erzählte uns Heikki, viele Finnen können, trotz der vielen Seen, nicht schwimmen. Und so treten sie in einer eigenen Wertung in einem Biathlon an. Der erste wie der letzte Athlet wird kräftig unterstützt und schließlich schaffen es auch alle ins Ziel.

Während die Läufer ihre Runden drehen entdecken wir eine kleine Gruppe in Schottenröcken und staunen nicht schlecht: Highland Games mitten in Südfinnland! Als sich noch eine zweite Truppe, diese auch mit zünftigen Rothaarperücken und Schottenmützen, dazu gesellt, kommt Leben in den Wettkampf. Es werden Autoreifen mit dem Hammer über den Boden geschlagen, es gibt Gewichtheben und Kugelstoßen. Inzwischen kommt der Triathlon zum Ende, und bei der Siegerehrung hat man das Gefühl, dass wirklich jeder Teilnehmer durch einen Gutschein und Applaus geehrt wird. Wir genießen das Treiben und probieren eine finnische Spezialität: Vety und Atomi - was übersetzt Wasserstoff und Atom bedeutet. Wesentlich schmackhafter als der Name vermuten läßt, ist Vety ein krapfenartiges Brötchen mit Eiern, Schinken und Gurkensalat. Wer nur Ei oder Schinken haben möchte, bestellt Atomi.. Nach dem Sport spielt eine Countryband bis zum Abend. Das ganze Fest kommt ohne Alkohol aus, es gibt nur Kaffee und Limonade - bei einem vergleichbaren Anlaß in Deutschland undenkbar. Aber mit dem Alkoholausschank ist es eine etwas kompliziertere Sache in Finnland, besitzt doch der Staat hier das Monopol darauf, auch wenn sich dies langsam etwas zu lockern scheint.

Wir lassen den Nachmittag wieder in dem kleinen Museumscafé ausklingen, wo wir neben leckerem Kaffee weitere karelische Spezialitäten probieren, eine Art Reiskuchen und die berühmte Pirogge, zu einem Schiffchen geformter Teig mit Milchreisfüllung. Als wir auf der sonnigen Terasse entspannen und weitere Reisepläne schmieden, spricht uns eine Finnin an, die unseren Dicken entdeckt hat. Sie habe mehrere Monate in Deutschland für einen Sprachkurs zugebracht, und zwar gar nicht so weit von unserem Wohnort. Heute lebe sie bei San Francisco und besuche in den Sommermonaten immer ihre Familie in der Heimat. Es zeigt sich mal wieder, wie klein die Welt ist.

Gleich nebenan befindet sich die Kirche des kleinen Ortes, ein schönes, leuchtend gelbes Holzgebäude. Im Garten ein Denkmal und zahlreiche Gräber - alles Soldaten, die im Winter- und Fortsetzungkrieg gegen die Sowjetunion ihr Leben ließen. Beindruckend still ist es im schlichten Inneren des Gotteshauses, als sperrten die Holzwände die Außenwelt aus.

Das Licht ist perfekt als wir dort eintreffen. Ein kräftiger Wind scheucht die Wolken in beeindruckender Geschwindigkeit über den Himmel und so wechseln sich praller Sonnenschein und Schatten rasch ab. Es bleiben nur wenige Augenblicke zum Fotografieren und man muß immer auf der Hut für das richtige Licht sein. Aber wenn dann die Sonne kurz zum Vorschein kommt und das Gelb des Gebäudes zum Strahlen bringt vor dem dunklen Himmel mit den stimmungsvollen Wolken, hat sich jedes Warten gelohnt. Man kann sich dabei förmlich in einen Rausch fotografieren und es fällt schwer, die Kamera wegzupacken und weiterzufahren.

Auch in der Umgebung von Taipalsaari läßt sich einiges entdecken. So steigen wir auf den Burgberg Linnavuori, einen von über hundert ähnlichen Orten in Finnland. Auch wenn heute dort oben "nur" beeindruckende Felsen und eine wunderbare Aussicht auf das umgebende Seengebiet zu entdecken sind, so hat man dort Spuren menschlicher Ansiedlung bis zurück zur Eisenzeit entdeckt. Der Berg diente unter anderem als Zufluchtsstätte vor Feinden und war zeitweise mit einer hölzernen Feste bebaut.

Auf unserem Weg nach Imatra begegnet uns dieser hölzerne Zeitgenosse bei einer kleinen Freizeitanlage mit Streichelzoo und Lachsteich samt Räucheranlage.

Die für Skandinavien so typischen Schilder, die vor Elchen warnen, säumen von nun an die Straßen. Gerne würden wir einen von den großen Vierbeinern sehen, aber es muß nicht auf der Straße sein.

Unsere nächste Station ist Mikkeli, dazu haben wir Südkarelien wieder verlassen und sind nun in der Region Savo. Aus dieser Stadt stammt Marshall Mannerheim, eine der wichtigen Figuren auf finnischer Seite im Winter- und Fortsetzungskrieg 1939-1944. Von den vielen Museen und Stätten, die man in Mikkeli auf seinen Spuren besichtigen kann, picken wir uns das in den Felsen Naisvuori gesprengte Nachrichtenzentrum Lokki (=Möwe) heraus. Mit vielen originalen Fernschreibern bzw. Funkgeräten und Verschlüsselungsapparaturen wird dem Besucher hier die Kommunikation in Kriegszeiten auf spannende Weise nahegebracht.

Bevor wir die Stadt Mikkeli wieder Richtung Riistina verlassen, schauen wir uns noch die Gletschermühle an, eine kuriose Laune der Natur, entstanden beim Rückgang der Eismassen in der letzten Eiszeit. Man vermutet, dass das Schmelzwasser starke Strudel bildete, die denn mit Hilfe nahezu runder Steine wie eine Art Bohrer tiefe Löcher ins Gestein gefressen haben. Der ganze Prozess soll weniger als hundert Jahre gedauert haben.

Uns zieht es wieder in die Natur, und so begeben wir uns auf verwachsenen Waldpfaden und vorbei an spiegelklaren Seen zu heute noch sichtbaren Spuren von Künstlern oder Schamanen, die diese vor über 4000 Jahren zurückgelassen haben. Besonders beeindruckend sind die Felszeichnungen von Astuvansalmi. Mit Ocker, Blut und Fett gemalt und dank konservierender Mineralienschichten heute noch gut zu erkennen: ein Elch, eine menschliche Hand, eine Frau mit einem Bogen.

Die Insel Kyläniemi haben wir dank Heikkis Familie auch noch gefunden. Eine kleine Seilfähre ist die einzige Verbindung vom Festland dorthin. Dafür begegnet man kaum einer Menschenseele und fährt nur hie und da an einem der schönen, bunten Holzhäuschen vorbei. An der Nordwestküste peitscht ein ordentlicher Wind beachtliche Wellen an den Kiesstrand. Wir genießen die Abgeschiedenheit und suchen uns ein Nachtlager im Wald.

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