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Gegen Wind und Stechmücken im Zeichen des Eichhorns

"Was hat euch in das kleine Nest Juva verschlagen?" fragt uns der junge Ville als wir zusammen mit ihm über den Schotterweg brettern und der Anhänger mit dem Kanu hinter seinem Wagen kräftig schlingert. Um ehrlich zu sein hätten wir vermutlich nie in Juva gehalten, hätten wir nicht vom "Eichhörnchenweg" gelesen, einer Kanuroute entlang kleiner Flüsse und über Seen inmitten menschenleerer Natur.

Am Tag zuvor schlagen wir unser Zelt direkt am Rand des Sees unter Birken und Fichten auf. Der Juva Campingplatz ist nicht nur schön gelegen und günstig, er ist auch gleichzeitig Startpunkt der Kanutour.

Am nächsten Morgen werden wir von Jussi nach Toivio gebracht, da uns eindringlich abgeraten wird direkt auf dem See mit dem Paddeln zu starten, der Wind sei zu stark. Und so lassen wir eine Viertelstunde später in einem Waldstück unser Kanu in einen kleinen Bach gleiten. Die ersten Mücken haben bereits Interesse an uns bekundet und wir verteilen die erste Ladung Anti-Brumm auf unserer Haut. Wir paddeln zunächst auf einem kleinen Bach, in dessen glatter Wasseroberfläche sich der stimmungsvolle Himmel spiegelt. Die Route ist unglaublich abwechslungsreich; mal läßt man sich kleine Bäche entlang treiben, in denen immer wieder umgestürzte Bäume hängen, die man entweder umfahren kann oder durch deren Äste man auch hin und wieder mit eingezogenen Köpfen sich seinen Weg bahnen muß; dann muß man wieder einen See überqueren und gegen den starken Wind kämpfen um anschließend wieder durch mannshohes Schilf zu paddeln. Ab und zu kommen Stromschnellen, die klein genug sind um problemlos gemeistert werden zu können und groß genug um eine Menge Spaß zu machen.

Zu Beginn müssen wir uns erst wieder ein wenig einfinden ins Paddeln, es ist schon ein paar Jahre her seit wir das letzte Mal im Kanadier saßen. Aber schon nach kurzer Zeit sind wir wieder drin und eingespielt und so umschiffen wir bald mehr oder weniger gekonnt die Steine und Felsen, die teils aus dem Wasser ragen oder sich manchmal auch knapp unterhalb der Wasseroberfläche befinden und nur am erzeugten Kehrwasser zu erkennen sind.

Am meisten genießen wir die kleinen Flüsse. Wenn man die Paddel einzieht und sich nur durch die schwache Strömung treiben läßt kommt man in den Genuß der Stille um einen herum, die nur ab und an von einem Vogelschrei oder einem ins Wasser huschenden Biber unterbrochen wird. Hie und da schwimmt eine Entenmama mit ihrem Nachwuchs vor uns her, und jedesmal, wenn wir ihr mit dem Boot zu nahe kommen, startet sie und fliegt ein Stück voraus, während sie ihren Jungen das Kommando zum Folgen gibt. Sofort rennen sie ihr über das Wasser nach, da sie noch zu klein zum Fliegen sind. Zwar wird unser Boot in den sumpfigen Gebieten stets von einem Schwarm Stechmücken belagert, aber das ziehen wir den kräftezehrenden Überquerungen der Seen vor. Der schneidende Wind vertreibt zwar die fliegenden Plagegeister, aber stellenweise haben wir das Gefühl trotz aller Anstrengung kaum gegen die Wellen, die uns der Gegenwind entgegenwirft, anzukommen. Und so versuchen wir wo immer es geht im Zickzack-Kurs die Wellen zu kreuzen. Später lesen wir auch in einem kleinen Büchlein, das an einem Rastplatz liegt, daß manche Paddler ihre Tour unterbrechen mußten, da sie die Seen nicht überqueren konnten.

Eine erste kleine Pause machen wir an einer der Übernachtungsmöglichkeiten entlang der Route. Dort bietet sich einem die Möglichkeit sein Zelt aufzustellen oder in einem kleinen Unterstand Schutz zu finden. Zusätzlich gibt es eine Feuerstelle und etwas geschlagenes Holz. Wir machen ein Feuer und wärmen uns auf während wir uns stärken.

Den ganzen Tag begegnen wir keiner Menschenseele. Keine anderen Paddler, niemand am Ufer, nur ab und zu eine kleine, verlassene Sommerhütte mit der typischen Sauna am Ufer.

Gegen Abend und nach 19 zurückgelegten Kilometern legen wir an einem wunderschön gelegenen Platz an. Wir verzichten darauf unser Zelt aufzubauen und breiten unsere Schlafsäcke direkt im Unterstand aus. Als erstes entfachen wir ein Feuer, das wie eine kleine, wärmende Insel umgeben von Kühle wirkt.

Nachdem für die Nacht das Nötigste vorbereitet ist gehe ich zum Fluß und werfe zum ersten Mal in meinem Leben eine Angelschnur aus. Ich beobachte wie der Haken mit der Schnur langsam untergeht, dann sehe ich eine ruckartige Bewegung am Haken, kurz darauf treibt der Köder, ein Stück Brot, alleine im Wasser. Ein Fisch hatte es vom Haken geholt. Ich ziehe die Schnur wieder ein und warte bis das Brotstück zu mir getrieben wird und stecke es erneut an den Haken. Spätestens zu diesem Zeitpunkt bin ich mir sicher, daß ich definitiv keinen Fisch fangen werde. Kaum treibt der Haken wieder unterhalb der Wasseroberfläche, sehe ich erneut wie er ruckartige Bewegungen vollzieht. Den dafür verantwortlichen Fisch selbst kann ich nicht ausmachen. Ich erinnere mich irgendwo einmal gelesen oder gesehen zu haben, daß man den Haken zu sich ziehen muß, damit er sich verfangen kann. Und so tue ich es ein paar Mal und plötzlich habe ich etwas am Haken. Völlig überrascht ziehe ich die Leine ein und sehe den etwa 15 bis 20 Zentimeter großen Fisch an der Leine zappeln. Ich nehme ihn in die eine Hand während ich mit der anderen den Haken aus seinem Maul entferne. Und als ich ihn sehe, wie er nach Luft schnappt, tut er mir unglaublich leid. Aber irgendetwas muß ich tun, denn so ist es nur eine Qual für ihn. Und so mache ich das, was mir ein Nachbar, der seit Jahrzehnten fischt, erklärt hatte. Ich stoße mit meinem Messer in den Hinterkopf des Fisches und durchtrenne das Rückenmark. Augenblicklich ist jedes Zucken des Fisches fort und er liegt ruhig in meiner Hand.

Es ist eigenartig, noch vor wenigen Tagen haben wir in Helsinki Fisch gegessen, fertig zubereitet vor uns auf dem Teller war das Fangen und Töten längst vergessen. Ich denke, es würden sehr viel weniger Menschen Fisch oder Fleisch essen, beziehungsweise sie würden es wesentlich bewußter tun, müßten sie sich selbst um die Beschaffung kümmern. Dieser kleine Fisch hat mir wieder sehr deutlich vor Augen geführt, wie anonym und sauber dieser ganze Prozess in unserer Gesellschaft vonstatten geht und wie weit weg die Natur eigentlich ist. Als ich zurück zu Ruth komme muß sie mir meinen inneren Kampf ansehen. Sie fragt, was passiert ist. Daß ich tatsächlich einen Fisch gefangen habe, kann sie nicht glauben, bis sie selbst das tote Tier sieht. Ich bin nicht stolz darauf, den Fisch gefangen und getötet zu haben. Gleichzeitig kann ich aber auch nicht sagen, daß ich es bereue. Ich denke nicht, daß der Fisch ein schlechtes Gewissen hat wenn er seine Beute fängt und ißt und so habe ich auch keines ihn auszunehmen und über dem Feuer zu braten. Das ist der normale Lauf der Dinge. Aber die Erfahrung hat mir wieder vor Augen geführt, daß man wesentlich mehr darüber nachdenken sollte, was man konsumiert und in welchen Maßen.

Wir sind beide froh, daß der Fisch wirklich gut schmeckt. Nichts wäre schlimmer gewesen, als wenn man ihn nicht hätte essen können. Nach unserer Rückkehr zum Campingplatz lesen wir nach, daß es sich wohl um ein Rotauge gehandelt hat. Auf alle Fälle bleibt es der einzige Fisch an diesem Abend und es wird kein weiterer Versuch von uns unternommen, einen weiteren zu fangen. Und so machen wir uns daran, Mehl mit Wasser zu mischen und etwas Asche als Treibmittel hinzuzufügen. Den Teig wickeln wir an Stöcke und machen das klassische Stockbrot.

Wir sitzen noch eine ganze Weile vor dem knisternden Feuer und genießen die Abgeschiedenheit. Hinter den Baumwipfeln färbt sich der Himmel rötlich und die Sonne verschwindet für kurze Zeit unter dem Horizont.

In der Nacht stehen wir zweimal auf und legen Holz nach um das Feuer am Leben zu halten. Der Rauch hält die Stechmücken auf Abstand. Als wir am Morgen die Augen öffnen sehen wir Schwärme von Moskitos über unseren Köpfen. Sie haben sich in den Ecken des Unterstands versammelt. Die meiste Zeit blieb uns nichts anderes übrig als uns komplett in den Schlafsäcken zu vergraben.

Die Glut können wir mit Hilfe von Birkenrinde wieder zu einem ausgewachsenen Feuer entfachen und uns unseren Frühstückstee zubereiten.

Den letzten Abschnitt lassen wir ruhig angehen und genießen wieder die Flußpassagen und kämpfen uns über windige Seen. Am Ende unserer Tour rufen wir beim Campingplatz an und eine Stunde später verzurren wir zusammen mit Ville das Kanu auf dem Anhänger. Seine Begrüßung ist herzlich: "Ich bin froh, daß euch nicht die Moskitos gefressen haben!"

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