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Unterwegs in Finnlands Nationalparks

Ein schmaler Pfad aus Holzbohlen schlängelt sich bis zum Horizont, wo er in einem dichten Mischwald zu enden scheint. Bei jedem Tritt sinkt der Steg ein wenig ein, manchmal in dunkelbraunes, undurchsichtiges Wasser, manchmal in eine schmatzende Decke aus eng ineinander verschlungenen Pflanzen. Ringsum breitet sich ein scheinbar endloses Sumpfgebiet aus, aus dem hie und da die kahlen Überreste längst abgestorbener Bäume malerisch in den herbstlich bedeckten Himmel ragen. Mit viel Glück kann man vielleicht sogar einen der hier zahlreich heimischen Bären beobachten, der seine Wege aber meist sehr sorgfältig von denen der Menschen fernhält. Auf jeden Fall ziert er das Logo des ganz im Osten Finnlands, in Nordkarelien, gelegenen Patvinsuo-Nationalparks.

Insgesamt besitzt Finnland 40 Nationalparks. Der jüngste ist seit 2017 der Hossa-Nationalpark im östlichen Mittelfinnland, zu den ältesten zählen der Oulanka und der Lemmenjoki, die bereits 1956 ihren Status erhielten. Ebenfalls vor nahezu 70 Jahren ernannt wurde der Petkeljärvi, mit seinen 6 Quadratkilometern Fläche der kleinste Nationalpark des Landes; momentan laufen aber Gespräche mit dem Ziel, ihn beträchtlich zu erweitern. Er wirkt geradezu winzig gegen den mit über 2800 Quadratkilometern größten finnischen Nationalpark, den Lemmenjoki im Norden Lapplands. Neben den Nationalparks (kansallispuisto) gibt es noch strenger geschützte Naturreservate (luonnonpuisto), in denen das Jedermannsrecht, das in Finnland eigentlich überall gilt, noch stärker beschnitten ist. Das Kevo-Gebiet südlich von Utsjoki ist so ein Reservat. Dort kann man stellenweise nur auf den markierten Wegen wandern, sein Zelt nur auf ausgewiesenen Plätzen aufstellen und darf auch nicht einfach irgendwo in der Natur ein Feuer entfachen. Teile dieser Reservate sind nur der Forschung oder einfach den dort lebenden Tieren und Pflanzen vorbehalten. Aber auch in den sogenannten Wildnisgebieten (wie Käsivarsi bei Kilpisjärvi im hohen Norden Lapplands) oder den nationalen Wandergebieten (wie dem um den Inarijärvi) lassen sich wunderbar kurze und längere Touren planen.

Plötzlich fliegen zwei Weißwangengänse mit hektischem Flügelschlag direkt neben uns auf, nur um sich in etwa hundert Meter Entfernung zu einer Gruppe von Artgenossen zu gesellen. Jetzt im Herbst sammeln sich diese schwarzweiß gefiederten Vögel, um dann in beeindruckenden Formationen, manchmal aus Hunderten von Individuen bestehend, Richtung Süden zu fliegen. Vielleicht machen die Gänse auch eine Rast hier im Patvinsuo. Manch ein Landwirt reagiert mit steigendem Blutdruck, wenn sie sich dafür eines seiner Felder aussuchen. Von einer kleinen Aussichtsplattform schauen wir auf eine grandiose Szenerie aus Hochmoor und dazwischen malerisch eingebetteten kleinen Tümpeln. In einem von ihnen schwimmt ein Singschwan, der Nationalvogel der Finnen. Wir begegnen auf unserer gut zweistündigen Wanderung keiner Menschenseele, obwohl der September bei den Einheimischen DER Wandermonat ist – der Patvinsuo ist mit jährlich um die 15000 Besuchern einer der am wenigsten frequentierten Nationalparks. Dabei hat er nicht nur die in Europa inzwischen sehr selten gewordenen, ursprünglichen Aapa- und Hochmoorgebiete mit ihrer typischen Flora und Fauna zu bieten. Im Norden liegt zudem der Suomunjärvi, ein spiegelklarer See ohne Mökkis an seinen Ufern, dafür mit ausgedehnten, feinkörnigen Sandstränden.

Ungleich mehr los ist im Pallas-Yllästunturi-Nationalpark im Nordwesten Lapplands zur Zeit der Ruska, aber wie so oft verläuft sich der Andrang, wenn man sich etwas weiter vom Besucherzentrum entfernt. Wir wollen den Taivaskero besteigen, mit seinen 809 Metern die höchste Erhebung des ganzen Parks. Zunächst geht es stetig bergauf, einen schmalen Pfad entlang. Um uns herum malt die Ruska ein farbenfrohes Panorama aus leuchtend gelben und grünen Bäumen und tiefroten Beerensträuchern, die bis zu einer gewissen Höhe den Boden bedecken. Wir sind umringt von den kahlen Gipfeln der Fjells, die den Nationalpark durchziehen und ihm auch seinen Namen geben. Von einem Sattel bietet sich ein schöner Blick in beide Richtungen auf endlose Wälder, in denen eingebettet tiefblaue Seen leuchten.

Dann geht es über groben Frostschutt zum Gipfel. Hier wächst kaum noch etwas außer der Landkartenflechte, die ihre Muster aus verschiedenen Brauntönen und hellem Grün überall auf den großen Steinen ausgebreitet hat. Hier oben wurde im Jahre 1952 die olympische Fackel entzündet und dann von einer Staffel Läufern in einen der Austragungsorte der Olympischen Spiele, nach Tornio, gebracht. Als wir über die Hänge des Laukukero wieder absteigen, verdüstert sich der Himmel plötzlich, dichte Regensäulen gehen über Teilen des Parks nieder. Uns erwischen nur ein paar Tropfen, dafür können wir die umliegenden Gipfel in intensiven Farben erstrahlen sehen.

Weiter oben Richtung Nordosten liegt der riesige Lemmenjoki-Nationalpark, den der gleichnamige Fluss wie ein blaues Band durchzieht. Gold wurde hier früher gewaschen, und bis heute finden sich noch Glücksritter, die auf einen sensationellen Fund hoffen. Auf den Spuren der Goldwäscher kann man den 25 Kilometer langen Kultareitti durch einsame Natur in Angriff nehmen. Wir begnügen uns diesmal mit einem kürzeren Rundweg, der sich durch lichte Wälder und vorbei an versteckten kleinen Seen schlängelt. Eines der schönen Dinge an finnischen Wäldern (zumindest in Nationalparks), ist, dass sie völlig naturbelassen sind. Junge Baumtriebe stehen neben umgefallenen, alten Stämmen, die schon halb zersetzt und von Pilzen überwuchert sind. Von dem schmalen Pfad, auf dem wir gehen, abgesehen, darf der Wald so sein, wie er eben ist.

Auf einmal bekommen wir Gesellschaft, aber nicht in Gestalt von anderen Wanderern. Eine Meute Unglückshäher umringt uns, neugierig flattern sie in den Ästen direkt über unseren Köpfen umher. Die Vögel mit leuchtend orangefarbenen Federn in ihrem ansonsten graubraunen Gefieder galten im Mittelalter in Deutschland, wo sie sich in besonders harten Wintern manchmal hin verirrten, als Unglücksboten – daher auch ihr Name. In Finnland dagegen werden sie als Glücksvögel immer gern gesehen. Und hier im Lemmenjoki ist es an diesem Tag auch nicht schwer, einen zu Gesicht zu bekommen. Eine ganze Weile turnen sie durch die Bäume um uns herum, picken am Waldboden zwischen den Beerensträuchern nach Futter, und wenn ich etwas Essbares dabeigehabt hätte, hätten sie mir sicher auch aus der Hand gefressen.

Lappland ist auch das Gebiet des uralten Volkes der Sami, des einzigen indigenen Volkes in Europa. Inari ist ihre Hauptstadt in Finnland. Neben einem hervorragenden Museum, das sich der Themen „Leben in der Arktis“ und „Kultur der Sami“ annimmt und auch immer wieder mit spannenden Fotoausstellungen aufwartet, findet sich hier auch das Sojas-Zentrum, in dem das samische Parlament tagt. Wir fahren ein wenig raus aus der kleinen, nicht sehr ansehnlichen Stadt und machen uns dann zu Fuß auf den Weg. Durch eine abwechslungsreiche Szenerie wandern wir etwa zwei Stunden lang, es geht durch Kiefernwälder, in denen gewaltige, moosbewachsene Findlinge unseren Pfad säumen, am Ufer von spiegelklaren Seen entlang und durch im Wind flatternde Rentierzäune hindurch. Schließlich öffnet sich das Gelände ein wenig und wir laufen durch das hohe Gras einer ausgedehnten Wiese.

Hier, mitten im Nirgendwo nordöstlich von Inari, steht eines der ältesten Holzgebäude in Nordlappland: die Ödniskirche Pielpajärvi. Erbaut wurde sie Mitte des 18. Jahrhunderts von christianisierten Sami an der Stelle einer noch älteren Kirche in der Nähe ihres Winterdorfes. Ursprünglich war sie umringt von mehreren Dutzend kleinen Häuschen, in denen die zum Teil von weither angereisten Gottesdienstbesucher übernachten konnten. Heute aber steht sie allein inmitten der Wildnis. Das Holz, aus dem sie erbaut wurde, hat durch Witterungseinflüsse eine warme, dunkelbraune Färbung angenommen, und so fügt sie sich wunderbar in die umgebende Natur ein. Das Innere ist weiß und hellblau, das Altarkreuz mit trockenen Blumen und Kräutern geschmückt. Bis heute finden hier in der Sommerzeit Gottesdienste und immer wieder auch Hochzeiten statt. Ein wenig ist die kleine Ödniskirche für mich wie Finnland selbst: Einsam und manchmal auch gesellig, mitten in unberührter Natur, voller wunderbarer Kleinigkeiten.

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