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Über den Dächern von Bukarest

Wenn ich ganz ehrlich bin, hatten wir beide keine allzu große Lust auf Rumäniens Hauptstadt Bukarest. Wir sahen den Dicken schon in kilometerlangen Autoschlangen feststecken, befürchteten endlose Parkplatzsuche bei brütender Hitze und ermüdendes Gerenne von einem wichtigen Platz zum nächsten. Aber es kam alles ganz anders! Bukarest entpuppte sich als entspannte Metropole, in der es allerhand zu entdecken gibt.

Unser Hotel, das "Liad", hat, wie das ganze Viertel, von außen zwar einige Schönheitsreparaturen nötig, aber die Zimmer sind modern eingerichtet, es liegt unschlagbar günstig - und das beste ist die Terrasse auf dem Dach, von wo aus wir unsere Blicke beim Frühstück über die Dächer von Bukarest schweifen lassen können. Gar nicht so weit entfernt ragt ein gewaltiger Gebäudekomplex aus dem Häusermeer.

Steht man direkt zu seinen Füßen, wirkt der neoklassizistische Parlamentspalast sogar noch gewaltiger. Wie bittere Ironie klingt sein alter Name, "Haus des Volkes", denn er war und ist vor allem eines: Ausdruck der Allmachtsphantasien von Nicolae Ceausescu, der hier das zweitgrößte Gebäude der Welt bauen liess, das bis heute nicht fertig geworden ist und in dem immer noch zahlreiche Räume leerstehen. Ganz in der Nähe kann man unter schattenspendenden Bäumen im "Social No. 1" mit leckeren grünen Smoothies und Limonaden gegen die Hitze ankämpfen.

Auf dem Universitätsplatz steht ein überdimensionales Pferd und schaut fast mitleidig auf den Nationalhelden Mihai Viteazu auf seinem weniger hohen Roß herab. Nebenan in einem Zelt liegen überlebensgroße Puppen in einem grotesken Haufen aufeinander. Das Internationale Straßentheater-Festival hat für mehrere Wochen einige der großen Plätze der Stadt besetzt. Vor etwa 18 Jahren protestierte hier, auf dem Universitätsplatz, eine wütende Menge gegen Ion Iliescus Wahl zum Staatspräsidenten; von ihm aus dem Jiu-Tal herbeigerufene Bergarbeiter schlugen den Protest gewaltsam nieder.

Gleich um die Ecke, in einem kleinen Park, ragt hinter einer Statue des Nationaldichters Mihai Eminescu das Athenäum in den blauen Nachmittagshimmel. Große Namen wie Voltaire oder Michelangelo zieren die Kuppel des Konzerthauses, und einige bedeutende Herrscher aus der wechselvollen Geschichte des Landes, wie Neagoe Basarab oder Carol I., schauen nachdenklich aus ihren Mosaiken herab.

Wo in Deutschland gefühlt immer mehr Buchläden und Antiquariate schließen, gibt es davon hier erfreulicherweise noch sehr viele. An mancher Straßenecke entdecken wir kleine Stände, vergleichbar den Bouquinisten an der Seine in Paris, die alte rumänische, manchmal auch deutsche Bücher im Angebot haben. Viele davon standen früher in der Bibliothek von Ruths Vaters. Wer es lieber modern mag und in den neuesten Erscheinungen blättern will, der ist im kühlen, hellen Inneren der Carturesti-Buchhandlung bestens aufgehoben, wo es neben vielen englischsprachigen Büchern auch allerhand duftende Tees und süße Leckereien zu durchstöbern gibt.

Abends, als die Schatten länger werden und die Häuserschluchten von Bukarest überfluten, steigen wir ein paar Stockwerke zur Pura Vida Sky Bar hoch und geniessen die letzten warmen Sonnenstrahlen, die die kupfernen Dächer der schönen alten Gebäude direkt gegenüber feurig erstrahlen lassen. Nach einem Cocktail läßt es sich wunderbar durch die kleinen, wuseligen Gässchen des alten Handelsviertels schlendern. Bars, Kneipen und Restaurants reihen sich dicht gedrängt aneinander, von rustikal bis schick gibt es alles, was das Herz begehrt, und es duftet an jeder Ecke nach einer neuen Köstlichkeit. Wir lassen den Abend im "Rockabilly" mit Burgern, Schwarzbier und den Songs von Bill Hailey ausklingen.

Nach dem lebendigen Bukarest wirkt Constanta einige hundert Kilometer weiter östlich in seinem alten Zentrum fast ein wenig kleinstädtisch. Es ist nicht mehr allzu viel zu spüren von Tomis, der einstigen Römersiedlung, in die der berühmte antike Dichter Ovid im Jahre 8 n.Chr. verbannt wurde. Er steht heute, tief in Gedanken versunken, auf seinem steinernen Podest vor dem Geschichtsmuseum der Stadt.

Blickt man an ihm vorbei, erkennt man sofort das 47 m hohe Minarett der Carol-I.-Moschee. Anfang des 20. Jahrhunderts liess der namensgebende rumänische König sie als Zugeständnis an die große muslimische Minderheit in diesem Teil des Landes bauen. Auch heute noch ist Constanta zusammen mit den umliegenden Städten Babadag und Medgidia das Zentrum der in Rumänien lebenden Türken und Tataren. Vom Minarett aus hat man eine wunderbare Sicht auf die Stadt und das Schwarze Meer. Am Horizont reihen sich große Tanker und Containerschiffe aneinander.

Auch das berühmte Casino von Constanta kann man von hier oben sehen. Als wir dann die Uferpromenade entlangschlendern und schließlich davor stehen, trauen wir unseren Augen kaum. Das Casino ist geschlossen, schon einige Jahre, der Eingang versperrt, an allen Ecken und Enden des schönen Art Noveau-Gebäudes bröckelt der Putz. Es soll renoviert werden, November diesen Jahres fertig sein, aber wie das manchmal so ist in Rumänien, haben die Bauarbeiten noch gar nicht begonnen. Aber dieses Casino, das schon zweimal neu aufgebaut wurde und in Kriegszeiten als Lazarett diente, scheint neun Leben zu haben; vielleicht kann man schon bald wieder durch das riesige, muschelförmige Fenster auf glänzende Leuchter und sich amüsierende Gäste blicken.

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