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Von Rentieren und Weihnachtswichteln

Nicht einmal der Arbeitsplatz des Weihnachtsmannes ist in diesen Zeiten sicher. Jahrelang saß er Tag für Tag in seinem Haus am Polarkreis, begrüßte die Besuchermassen und erfreute nicht nur die Kinder unter ihnen. Doch nun kommen aus Russland und Südeuropa dank der Krisen in diversen Teilen der Welt immer weniger Besucher, und so mußte die Firma, bei der der Bärtige mit Kapuze angestellt ist, Insolvenz anmelden.

Aus dem Heimatland seines Alter Ego Väterchen Frost haben wir uns bereits wehmütig verabschiedet. Bei Zapolyarny tanken wir noch einmal randvoll. In zwei von unseren Reservekanistern ist auch noch Diesel, und beim Klopftest stellen wir fest, daß sich die vollen Kanister dank der seitlichen Halterung kaum anders anhören als der leere. Und so beschließen wir, es darauf ankommen zu lassen und die Ausreise mit ungefähr vierzig statt der üblich zugelassenen zehn Liter zu versuchen. Denn vom sagenhaften russischen Dieselpreis heißt es nun auch Abschied nehmen.
Die Straße Richtung Norwegen ist gut ausgebaut und wir kommen dem Grenzgebiet sehr schnell näher. Erst die letzten Kilometer sind geschottert und dort gibt es auch die einzige vorgelagerte Kontrolle der Papiere. Die Formalitäten an der eigentlichen Grenzstation gehen wieder reibungslos und schnell vonstatten. Aber es wird, wie befürchtet, nach dem Inhalt der Reservekanister gefragt. Ich klopfe an die Kanister, die ernst dreinschauende Grenzbeamtin klopft an die Kanister, und auch ihr herbeigeholter Kollege darf nochmal klopfen. Und dann geben sie sich zufrieden, genauer nachsehen will niemand. Bei der Kontrolle des Innenraumes müssen sie grinsen, als sie das Rentierfell sehen und ihnen der von ihm ausgehende Geruch entgegenweht. Glücklicherweise wird diesmal kein Hund durchs Auto geschickt, der hätte vermutlich seine wahre Freude mit dem Teil gehabt. Als die zuerst so griesgrämige Beamtin nach dem Inhalt der Kisten fragt und ich die ersten Türen öffne und sie auffordere, selbst überall nachzusehen, winkt sie wieder grinsend ab. Das scheint ihr dann doch zu viel Arbeit zu sein, all die kleinen Fächer zu überprüfen. Nach dem Verneinen der Frage, ob wir Munition oder Drogen bei uns haben, öffnet sich vor uns der Schlagbaum.
Auf norwegischer Seite treffen wir den vermutlich nettesten Grenzbeamten, den man sich vorstellen kann. Er ist mehr am Dicken interessiert als an einer Kontrolle, fragt nach unserer Route und wo wir schlafen und geht nicht einmal um das Auto herum, so daß hier der Inhalt der Kanister keine weitere Rolle spielt. Nach insgesamt einer halben Stunde sind wir in Norwegen.

Die Sonne scheint und das Land empfängt uns schon auf den ersten Kilometern mit einer beeindruckenden Landschaft. Schroffe Felsen und weitläufige Fjorde, ein intensiv blaues Meer und die ersten Rentiere, die unweit der Straße in einer kleinen Herde beisammen grasen, säumen unseren Weg.

Wir fahren ein Stück südlich am Varangerfjord entlang und nach zwei Tagen überqueren wir bei Polmak die Grenze nach Finnland. Wir entschließen uns, die Rückreise gemütlich und ohne großes Programm anzutreten. Nach den zwei Monaten voller Eindrücke und Erlebnisse und vor allem nach dem Monat in Russland, der im Nachhinein doch kräftezehrender war als zunächst wahrgenommen, wollen wir die Kameras auch einfach mal beiseite legen und uns Erholung gönnen. Aber so ganz ohne Photos geht es dann natürlich doch nicht.

Und so setzen wir unseren Weg durch Lappland fort, zunächst auf der E6 an der norwegischen Grenze entlang, und ab Utsjoki dann auf der E75, die uns bis nach Süden bringen soll. Immer wieder stehen Rentiere am Rand der Straße, häufig auch mitten darauf, und sie lassen sich durch uns oder andere vorbeifahrende Autos nicht aus der Ruhe bringen. Lediglich die Jungtiere sind noch schreckhaft, so daß man stets wachsam sein und mit allem rechnen muß.

Kurz hinter Inari schlagen wir unser Zelt auf einem Campingplatz auf, der sich als der knauserigste herausstellt, der uns bisher untergekommen ist. WLAN kostet extra, Zahlen mit Kreditkarte auch, Duschen sowieso, und alle Steckdosen sind abgeklebt, denn Akkus aufladen kostet natürlich auch extra. Und die Papierhandtücher auf den Toiletten kann man tatsächlich nur alle zwei Minuten rauslassen, wehe wenn jemand mal zwei braucht! Aber die Lage am riesigen Inarisee ist schön und wir treffen einen Österreicher, der ebenfalls mit einem Defender Richtung Nordkap unterwegs ist.

Wir wandern von dort einen ganzen Tag durch die Wälder, hin zu einem alten, hölzernen Gotteshaus der Sámi, der Kirche von Pielpajärvi. Das dunkle Holz des kleinen Gebäudes bildet einen äußerst fotogenen Kontrast zum tiefblauen Himmel. Im Innern ist die Kirche sehr sparsam eingerichtet, das Kreuz auf dem Altar besteht aus getrockneten Blumen und Gräsern. Einmal im Jahr, am Juhannustag, wird hier ein Gottesdienst abgehalten; die Kirche ist dann geschmückt mit vielen Wildblumen und voll von Menschen aus den umliegenden Gemeinden.

Auf dem Rückweg sehen wir ein Rentierpärchen durch einen Sumpf auf uns zukommen. Wir bleiben stehen und beobachten die Tiere. Einige Meter vor uns stapfen sie aus dem Morast auf den Weg und sind von nun an unsere Begleiter für die letzten Kilometer zurück nach Inari. Ohne Scheu trotten sie vor uns her, bleiben immer wieder stehen um unser Tun im Auge zu behalten oder um im nahen Wald zu fressen. Erst kurz vor dem Ortseingang verschwinden sie im Dickicht.

Inari ist die Hauptstadt der Sámi in Finnland und so ist es nicht verwunderlich, daß sich dort ein wichtiges Museum findet, in dem es neben einer spannenden ständigen Ausstellung über die Arktis und ihre Einflüsse auf die Menschen sowie die Kultur der Sámi wechselnde kleinere Ausstellungen rund um die Kultur und das Leben dieser Volksgruppe gibt. Und einige Souvenirläden dürfen drumherum natürlich auch nicht fehlen, in denen neben Rentierfellen und -fleisch auch Finnenmesser und allerlei Kram angeboten werden. Hier in Inari macht sich der Einfluß der vielen Touristen deutlich bemerkbar, im Grunde ist so ziemlich alles im Stadtzentrum auf die vielen Besucher aus aller Welt zugeschnitten, die hier jährlich in großen Scharen vorbeikommen, meist mit den allgegenwärtigen Campern und Wohnwagen.

Bei der Weiterfahrt stossen wir immer wieder auf Denkmäler, die auf die Rentierzucht und das Nomadenleben der Sámi hindeuten, und die meist inmitten kleiner Dörfer auf hübsch hergerichteten Plätzen stehen. Wie in Sodankylä zum Beispiel, wo wir in der Nähe auch noch eine kleine, alte Holzkirche am Rande des Friedhofs besuchen. Die Nacht verbringen wir auf einem etwas überschwemmten Campingplatz, wo wir unter anderem ein russisches Pärchen kennenlernen, das von Murmansk aus hier in Nordfinnland mit dem Drahtesel unterwegs ist.

Unzählige Rentiere weiter fahren wir in Rovaniemi ein. Aber nicht ohne Zwischenstopp bei einem kleinen gemütlichen Gasthaus, in dem es Rentierschinken und Pfannkuchen mit Moltebeeren gibt.

Und da man nicht so lange durch Finnland fahren kann ohne einmal in einer der typischen Holzütten zu nächtigen, mieten wir uns auf einem Campingplatz für drei Tage in einer dieser kleinen, gemütlichen Behausungen direkt am Ufer eines Flusses ein. Am Abend gibt es zur Eingewöhnung selbstgemachte Pfannkuchen mit Himbeeren.

Viel Zeit sollte man in Rovaniemi für das Arktikum mitbringen. Dabei handelt es sich um ein hoch interessantes Museum, das in einem beeindruckenden Gebäude untergebracht ist. Es erstreckt sich über zwei langgezogene Stockwerke. Schwerpunkt der ständigen Ausstellung ist die Arktis, wie es ja auch der Name des Museums schon vermuten läßt. Es geht um Geographisches, die arktische Tierwelt, aber auch das Leben und die Kultur all der Völker, die es geschafft haben, über die Jahrhunderte den Elementen im hohen Norden zu trotzen, wie die Sámi oder die Nentzen. Ein kleines Polarlichttheater lädt zum Ausruhen ein, und auch die ständig wechselnden Ausstellungen - aktuell mehrere Photoausstellungen über das Leben der Sámi in der Gegenwart sowie eine über deutsch-finnische Freundschaften in Zeiten des Zweiten Weltkriegs - sollte man nicht links liegenlassen.

Unweit davon steht das ehemalige Fabrikgebäude des traditionsreichen Messerherstellers Martiini. Wo sich heute alte Ausstellungsstücke und der Werksverkauf befinden, wurden in den Anfängen um 1928 die ersten Martiini-Messer in Handarbeit hergestellt. Als die deutsche Wehrmacht sich 1944 aus Finnland zurückzog, fiel auch die alte Fabrik der Zerstörungswut der Soldaten zum Opfer. Die äußerst gesprächige Verkäuferin zeigt uns auch ein besonderes Messer, den sogenannten "Hexenzahn". Das Ende des Griffs besteht aus einem hohlen Rentierknochen, in dem sich ein kleinerer Knochen befindet. Bei jeder Bewegung des Messers hört man das Klappern des "Zahns". Sie erzählt uns, daß der Besitzer einer solchen Klinge stets den rechten Weg finde und vor Verirren geschützt sei. Und zum Beweis berichtet sie von zwei Radfahrern, die vor zwei Jahren bei ihr im Laden vorbeischauten und sich auf dem Weg zum Nordkap befanden. Während der eine von ihnen sich den "Hexenzahn" gekauft hatte, entschied sich der zweite Radler für ein günstigeres Messer. Vor einigen Wochen war dieser Mann wieder bei ihr und erzählte, sie hätten sich damals auf dem Weg verloren und sein Freund hätte das Nordkap erreicht, er jedoch hätte sich hoffnungslos verfahren. Und daher sei er nun, bei seinem zweiten Anlauf, wieder hierher zurückgekommen um sich ebenfalls einen "Hexenzahn" zu besorgen. "Ihr seht also, es funktioniert", lächelt die Verkäuferin. Trotz der netten Geschichte ist auch uns das Messer zu teuer und wir entscheiden uns für zwei andere Finnenmesser. Und lassen uns überraschen, ob wir den Heimweg trotzdem finden werden.

Rovaniemi liegt nahezu direkt auf dem nördlichen Polarkreis. Und da hatte vor vielen Jahren jemand die pfiffige Idee, daß dieser Ort doch die Heimat des Weihnachtsmannes sein müsse, dieser wohnt schließlich am Nordpolarkreis. Und so finden sich etwas außerhalb der nordfinnischen Stadt sowohl der Santapark, eine Art Weihnachts-Vergnügungspark, als auch die Santa Village. Den Park umfahren wir großzügig und besuchen lediglich das Weihnachtsmanndorf. Es ist ein Gegensatz wie er größer kaum sein könnte. Fanden wir in Russland beim Überqueren des Polarkreises noch ein schlichtes Denkmal neben der Straße vor, so weisen hier Säulen, Globen und in den Boden eingelassene Schriftzüge in verschiedenen Sprachen auf den 66. Breitengrad hin.

Eingebettet ist das Ganze zwischen dem Artic Circle Center und dem Postamt des Weihnachtsmannes. In Ersterem findet sich alles, was auch nur im Entferntesten mit Weihnachten, Arktis oder Rentieren zu tun hat. T-Shirts mit Aufdrucken, die jedem zeigen, daß man erfolgreich den Polarkreis überquert hat, eine Urkunde für schlappe 15 Euro, die bezeugt, daß man am Polarkreis war, Hundefutter in Schneeflockenform, Weihnachtsmänner in allen erdenklichen Farben und Materialien und natürlich Rentierfleisch. Eine kleine Dose für 22 Euro, im Supermarkt in Rovaniemi stehen ihre großen Geschwister für 5 Euro. Während man ein wenig ungläubig zwischen den Regalen hindurch stolpert, versuchen Weihnachtslieder die Kundschaft zum Kaufen zu animieren.

Wie eingangs erwähnt ist der Weihnachtsmann selbst dieser Tage von Arbeitslosigkeit bedroht, dafür leisten seine Wichtel im Postamt ganze Arbeit. Man kann hier auf Wunsch seine Weihnachtspost aufgeben, diese wird dann termingerecht am 24. Dezember ausgeliefert, mit Briefmarke und Stempel vom Weihnachtsmann, versteht sich. Das Postamt ist wirklich hübsch eingerichtet und mit Sicherheit für Kinder etwas Besonderes. In einem Regal befinden sich Briefe aus aller Herren Länder, die Kinder an den Weihnachtsmann geschrieben haben. Diese Post wird hier gesammelt. Unter anderem gibt es auch einen 413,80 Meter langen Brief aus Rumänien, den Schüler verschiedener Schulen aus Brasov hierher geschickt haben. Wir fragen eine der Mitarbeiterinnen im Wichtelkostüm, wie sie denn zu Weihnachten steht, wenn sie doch das ganze Jahr über die Lieder hört und von Weihnachtskarten und -utensilien umgeben ist. Der besonnene Wichtel antwortet schlicht: "Man muß zwischen Arbeit und privatem Weihnachtsfest trennen."

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