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Mit ProDogRomania in Bucov

Schon von weitem hört man das traurige, herzzerreißende Weinen. Es übertönt das allgegenwärtige Durcheinander aus Bellen und Jaulen in allen Stimmlagen. Ganz hinten, in einem der nicht überdachten Zwinger nahe der Straße, steht er dann vor mir hinter dem Maschendrahtzaun. Ein mittelgroßes Energiebündel, schwarz-weiß gefleckt und mit einem wachen, lieben Gesicht, wie es so viele der Streuner hier haben. An seiner linken Kopfseite klafft eine große, offene Wunde, schon leicht verkrustet und schmutzig. Aber er scheint nicht deswegen zu weinen. Er stürmt sofort auf mich zu, versucht, seinen Kopf durch die engen Maschen des Zaunes zu stecken, schleckt meine Finger ab, die ich ihm entgegenstrecke. Er scheint den Menschen zu vermissen, der vielleicht einmal Herrchen oder Frauchen für ihn war, und von dem er jetzt so weit entfernt ist.

Die Hundefänger nehmen jeden Hund mit, der ihnen ohne Halsband auf den Straßen von Ploiesti und Umgebung vor die Schlinge läuft. Sie werden von der Stadt pro angeliefertem Tier bezahlt. Ihr weißes Auto rückt mindestens zweimal pro Tag aus und kommt jedesmal gefüllt wieder. Ungefähr 1400 Hunde sind derzeit im Bucov-Tierheim am Rande von Ploiesti untergebracht. Die städtische Einrichtung, die seit 2001 existiert, liegt eigentlich schön im Grünen, zwischen einem botanischen Garten und dem Zoo der Stadt. Ein Angestellter mit dem Spitznamen Duck erzählt uns, daß er seit 2005 hier arbeite. Damals galt es ungefähr 200 Hunde hier zu versorgen und es waren 10 Mann angestellt, heute sind es noch sieben Angestellte, die sich um 1400 Tiere kümmern müssen. Und man kann nicht behaupten, daß jeder von ihnen das Wohlergehen der Hunde als ersten Punkt auf seiner Liste stehen hat.

Es ist ein Segen, daß es Freiwillige gibt, die ihre Freizeit und viel Herzblut investieren um die nötigste Versorgung der Tiere zu gewährleisten und den Um- und Ausbau der Behausungen voranzutreiben. ProDogRomania, ein gemeinnütziger Verein aus Deutschland, hat es sich zur Aufgabe gemacht, aktiv etwas an dem Straßenhundeproblem in Rumänien zu ändern und setzt sich vor Ort in der Zusammenarbeit mit Einheimischen für das Wohl der Hunde in Bucov ein. Die Kosten für Tierärzte und Kastrationen werden übernommen, und an mehreren Wochentagen können die Hunde des gesamten Tierheims mit Trockenfutter versorgt werden. Immer wieder werden mit den Spenden auch Futtertröge und Hundehütten finanziert und der Ausbau der Zwinger wird durch freiwillige Helfer vorangetrieben.

Der erste Tag in Bucov ist der schwerste. Oder die erste Woche, wie uns Aniela berichtet. Sie sei im Laufe ihrer ersten Woche hier nur von einem Zwinger zum anderen gegangen und hätte fast die ganze Zeit über geweint - und hat danach beschlossen, ihren regulären Beruf aufzugeben und sich nur noch den Hunden hier zu widmen.

Es ist ein Wechselbad der Gefühle, Hoffnung, Freude, Trauer und Schmerz liegen oft nur Augenblicke oder ein paar Schritte auseinander. Beim Rundgang durch die Zwinger stößt man immer wieder auf Hunde mit Bißverletzungen, manche so schlimm, daß die Krankenstation auf dem Gelände für eine Behandlung nicht ausreicht und man die Tierchen ins Krankenhaus nach Bukarest bringen muß.

Es kann sein, daß man in eine Hundehütte blickt und in die Augen einer frischgebackenen Mama schaut, an die sich eng neu geborene Welpen schmiegen.Bei der großen Anzahl an Hunden und der geringen Menge an Mitarbeitern bleiben sowohl Verletzungen wie auch Neugeborene tagelang unentdeckt, so daß sich Wunden entzünden können oder verletzte Tiere sterben müssen.

Eine Anlaufstelle zum Kraft tanken und Hoffnung schöpfen ist der Zwinger mit den Neugeborenen und ihren Müttern. Man merkt es den Kleinen an, daß sie noch unbekümmert sind und die Neugierde übertrifft die Ängstlichkeit.

Man schaut in traurige Augen, deren Blicken man entnehmen kann, was sie schon erleben mußten und wie wenig sie die Situation verstehen, in der sie sich befinden. Man kann es den Tieren auch nicht verdenken, wenn sie zurückhaltend auf uns Zweibeiner reagieren. Waren doch vermutlich ihre Erfahungen, die sie mit Menschen bisher gemacht haben, eher negativ. Und doch ist es ermutigend und schön festzustellen, daß man häufig mit Geduld das Vertrauen gewinnen und den Kerlchen zeigen kann, daß es auch Individuen unserer Gattung gibt, die es gut mit ihnen meinen. Zuerst dachte ich, daß es zum Verzweifeln ist, daß die ganze Arbeit, die hier gemacht wird, nur ein kleiner Tropfen ist, und daß man an einer Stelle hilft und an unzähligen anderen Orten zur gleichen Zeit keine Hilfe sein kann. Aber so darf man nicht denken. Man muß sich an das Positive klammern, an die kurzen Momente, in denen man einzelnen Hunden vielleicht etwas Hoffnung gegeben hat. Und wenn es auch nur einige Augenblicke der Zuneigung und des Kraulens sind, so sind sie es doch wert. Man kann das Problem nicht heute lösen, es braucht Zeit, es muß über Jahre hinweg ein Umdenken stattfinden, damit man die Situation der Straßenhunde in den Griff bekommen kann. Aber man muß heute damit anfangen. Wir müssen versuchen zu verhinden, daß irgendwann Hunde in die gleiche Situation kommen, in der ihre Artgenossen heute sind. Den Tieren hier und jetzt kann man nur helfen, indem man sie versorgt und versucht, ihnen eine bessere Zukunft zu ermöglichen und sie vielleicht in eine nette Familie und gute Hände zu vermitteln.

Man hat das Gefühl, würde man sich für einen Hund entscheiden, ließe man zwanzig im Stich.

Es ist erstaunlich, wie in solch kurzer Zeit einem sowohl die Tiere als auch die Menschen ans Herz wachsen. Man fährt mit einem zwiespältigen Gefühl weiter. Zum einen ist man froh, die Möglichkeit gehabt zu haben gemeinsam mit diesen lieben Menschen etwas getan zu haben und hoffentlich wenigstens dem einen oder anderen Tier geholfen zu haben. Zum anderen hat man ein schlechtes Gewissen, wenn man selbst frisch geduscht ins Auto steigt und mit dem Wissen fortfährt, daß für die Hunde der Dreck und die Angst weiterhin Alltag sein und bleiben werden. Hoffen wir, daß so viele von ihnen das Zuhause finden werden, das sie verdienen und eine Chance auf eine unbeschwertere Zukunft bekommen. Und arbeiten wir weiter daran, daß irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft weniger Shelter vonnöten sind, um Straßenhunde aufzunehmen. Natürlich ist man am überlegen, ob man sich einen der Kerle mit nach Hause nehmen sollte. Auch wenn es zum aktuellen Zeitpunkt einige gute Gründe gibt, die gegen eine solche Entscheidung sprechen, ist es nicht der beste Grund, daß man einen von ihnen aus der Situation befreien würde? Ist es das nicht wert, das eigene Leben zu überdenken und vielleicht am Ende auf etwas davon zu verzichten, zugunsten einer besseren Zukunftsaussicht für einen der Hunde?

Aus einem halben Tag sind vier Tage geworden, und wir wären gerne noch länger geblieben. Aber wir haben noch viel vor, und so verlassen wir die triste Umgebung von Ploiesti. In den paar Tagen haben wir nicht nur über 4000 Fotos geschossen sondern auch einen kleinen, spontanen Film zusammengeschnitten, mit dessen Hilfe man hoffentlich den ein oder anderen zu einer Spende anregen und auf das Schicksal der Tiere aufmerksam machen kann.

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