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Die Klöster der Moldau und Bukowina

Jetzt ist es fast menschenleer im gepflegten Innenhof des Mönchsklosters Putna. Die Sonne versinkt golden hinter den dicken Festungsmauern und malt Schatten auf die schneeweiße Kirche. Eminescus ernstes Gesicht blickt steinern nach Westen; er soll oft hier gewesen sein während seines kurzen Dichterlebens, und einmal soll er Putna als das "Jerusalem des rumänischen Volkes" bezeichnet haben. Für soviel Ehre hat man ihm hier ein Denkmal gesetzt. Über die friedliche Anlage, die kahlen Bäume und die drei Glocken, von denen eine noch nie geschlagen wurde, legt sich der Gesang der Mönche, der aus dem Inneren der Kirche über Lautsprecher nach draußen tönt, wie eine wärmende Decke. Auch wenn man die Worte nicht versteht, etwas von Erhabenheit und Demut und Traurigkeit liegt in ihren Stimmen. Und immer wieder "Hristos a înviat!" (Christus ist auferstanden!). Es ist christlich-orthodoxer Ostermontag.

Das Kloster Putna ist eines von über 300 Klöstern im Nordosten Rumäniens. Und auch wenn es sehr abgelegen Nahe der Grenze zur Ukraine liegt, pilgern jedes Jahr im Juli Tausende von Gläubigen hierher, um Stefan cel Mare zu gedenken, einem der großen Moldaufürsten. Im 15. Jahrhundert, als Rumänien noch nicht existierte, und Stefan der Große sein Fürstentum Moldau im Osten gegen die Osmanen verteidigen musste, schwor er, im Falle einer siegreichen Schlacht bei Chilia im Donaudelta ein Kloster zu stiften. Einer Legende nach soll er von einem nahen Hügel aus einen Pfeil abgeschossen haben, und wo dieser gelandet ist, steht heute der Altar der Klosterkirche. Auf diesem Hügel sieht der Besucher heute ein großes Metallkreuz, und man hat "Stefan" aus Bäumen auf eine nahe Lichtung gepflanzt.

In der kleinen Kirche des Klosters ist auch das Grab des bedeutenden Fürsten, ein einfaches Marmordenkmal, das schon fast wie eine Ikone behandelt wird. So ruhig wie an diesem Abend war es im Kloster Putna nicht immer. Kosaken schmolzen im 17. Jahrhundert das bleierne Kirchendach zu Kanonenkugeln, Ikonen wurden verbrannt, um das beim Malen verwendete Gold zu gewinnen, immer wieder wurde das reiche Kloster geplündert. Aber manche Schätze überdauerten doch in Geheimkammern, wie das Evangelium von Humor, ein silberbeschlagenes, edelsteinverziertes Buch aus dem Jahre 1473.

Wir übernachten im Gästehaus des Klosters. In der Welt der Mönche ist manches ein wenig anders.

Nachts scheucht ein Sturm mit viel Regen die Stille hinweg. Am nächsten Morgen ist es kalt, und rund um die "Stefan"-Bäume liegt plötzlich Schnee. Ganz in der Nähe des Klosters ist die kleine Felsenkirche von Daniil Sihastru zu finden; dieser Eremit soll Stefan Cel Mare zu Lebzeiten in spiritueller und strategischer Hinsicht zur Seite gestanden haben.

Wir kommen bereits am (orthodoxen) Ostersamstag in der Bukowina an, und unser erster Weg führt zum Kloster Neamt. Es liegt außerhalb des größeren Städtchens Târgu Neamt (=Deutscher Markt) inmitten sanfter Hügel. Das Wehrkloster ist sehr alt, man fand Spuren von Einsiedeleien und Klosteranlagen aus dem 11. Jahrhundert. 700 Jahre später gab es hier eine der bedeutendsten Klostermalschulen der Welt. Heute leben etwa fünfzig Mönche in der Anlage.

Einer von ihnen ist Frate Ion, gebürtiger Grieche, der uns bedeutet, uns neben ihn auf die sonnige Steinbank vor der Kirche zu setzen. Er erzählt uns von seinem sechsjährigen Aufenthalt auf dem Berg Athos, er zitiert Eminescu und Mutter Theresa und mahnt uns, eine der größten Traurigkeiten im Leben sei es, am Ende der 60, 70 Jahre, die einem gegeben seien, kein guter Mensch geworden zu sein. Die Kirche, vor der wir sitzen, ist im Gegensatz zu den berühmtesten in der Bukowina nicht mir Außenfresken geschmückt. Nur einfache Muster aus Glaskeramikelementen zieren die ansonsten schlichte Fassade.

Das Kloster Neamt beherbergt gleich zwei Kirchen; eine davon, die dem Heiligen Georg geweiht ist, wurde in den Sechzigerjahren um einige Meter in Richtung der Mönchsunterkünfte versetzt. Dort, wo man heute noch die alten Grundmauern dieser Kirche erahnen kann, steht an diesem Nachmittag ein hölzernes Podest. Hier soll in einigen Stunden die Ostermesse zelebriert werden.

Frate Ion schickt uns aber erstmal in die Klosterbuchhandlung, wo wir Bruder Anton finden würden, der, wie sich tatsächlich herausstellen sollte, ziemlich gut deutsch spricht. Er sei schon über fünfzehn Jahre in diesem Kloster, berichtet er. Und er hat sich sein Reich hier schön chaotisch eingerichtet. In dem geräumigen, von außen einer gewaltigen Zwiebel gleichenden "Buchladen" gibt es neben im Kloster hergestellter dulceata de prune (eine Art sehr süße Marmelade aus Pflaumen) auch viel Tand für das Gläubigenherz und -wohnzimmer, Rosenkränze, Sand vom Berg Athos und Ikonen in allen Größen und Farben. Und natürlich Bücher: weise Ratschläge von Mönchen, Heilkräuter gegen alle erdenklichen Krankheiten, rumänische Märchen. Als Anton uns dann irgendwann nach unserer letzten Beichte fragt und entsetzt über neunzig Prozent Heiden in Mecklenburg-Vorpommern klagt, suchen wir doch lieber die Ausgangtür.

Um kurz nach Mitternacht stehen wir aber bereits wieder im Klosterhof. Nach christlich-orthodoxer Tradition haben sich zahlreiche Gläubige aus den umliegenden Dörfern um den improvisierten Altar versammelt und jeder von ihnen hält eine Kerze in der Hand. Uns kann man unschwer als die einzig "Ungläubigen" weit und breit ausmachen. Die Messe, welche die Mönche zelebrieren, wird bis in die Morgenstunden dauern. Die Menschen bleiben eine Weile und tragen dann ihr gesegnetes Licht nach Hause; sie versuchen dies so vorsichtig wie möglich zu tun, damit es nicht ausgeht. Traditionell kommen viele von ihnen nach ein paar wenigen Stunden Schlaf wieder zu Kirche und bringen Speisen mit, welche sie segnen lassen. Immer wieder sehen wir am Ostersonntag Mönche, die neben Essen und Trinken auch gleich noch das Auto der Gläubigen segnen dürfen. Wir halten bis kurz vor zwei Uhr durch, überlassen dann aber die Osterbräuche den Einheimischen und hauen uns im Gästehaus des Klosters aufs Ohr.

Fünf weitere Klöster besuchen wir in den folgenden Tagen. Die beiden Nonnen-klöster Agapia und Varatec, die zu den größten in Europa zählen. Der erhoffte dreißigminütige Spaziergang von einem zum anderen Kloster entpuppt sich leider als ausgewachsene Wanderung auf einer Waldstraße, auf der zahlreiche rumänische Jugendliche, die am späteren Nachmittag bereits ganz gut gebechert haben, mit ihren Autos herumfahren und im Grünen bei Grillgut und lauter Popmusik entspannen. Aber wir werden für den Weg belohnt und erleben einen feierlichen Ostergottesdienst in der Klosterkirche von Varatec, wo uns die tiefe Hingabe der Nonnen und die besondere Stimmung in der von Chorgesängen erfüllten Kirche sehr beeindrucken.

Die berühmtesten Moldauklöster Sucevita und Voronet. Dank zahlreicher Besucher, die auch gerne mal mit Handy am Ohr oder Selfiestick durchs Klostergelände stiefeln bleiben diese Besuche uns eher als Pflichttermine in Erinnerung. Die Klosterkirchen faszinieren dennoch mit ihren in leuchtenden Farben strahlenden Fresken, die die Gebäude im Innen- und Außenbereich vollständig bedecken. Das Voroneter Blau, welches seine besondere Strahlkraft durch die Beimischung von Lapislazulistaub erhält, ist inzwischen eine eigene Farbbezeichnung geworden.

Sucevita ist einzigartig, da hier die gesamte Außenfassade erhalten ist; bei den anderen Klöstern ist jeweils die Wetter-, also Nordseite, stark verwittert. In Sucevita überdauert eine grandiose Darstellung der Himmelsleiter seit dem 16. Jahrhundert: rechts oben himmlische Ordnung, links unten bildgewordenes höllisches Chaos.

Und schließlich Humor, eine kleine turmlose Kirche inmitten uralter, verfallener Verteidigungsanlagen. Einer der Wehrtürme steht noch, enge, hohe Steintreppen führen hinauf. Wir sitzen dann noch eine Weile auf einer kleinen Steinmauer und geniessen die warme Nachmittagssonne und die Stille in diesem eher wenig besuchten Kloster. So viele Bilder und Eindrücke schwirren uns durch den Kopf. Wir sind erst einmal gesättigt davon und beginnen uns nach der Einsamkeit der rumänischen Berge zu sehnen.

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