Mishu und seine Hunde
Aus den Lautsprechern dröhnt Metal- und Rockmusik vergangener Tage, aus den guten alten Zeiten könnte man sagen. Zu dritt nebeneinander haben wir es uns in dem Kleinbus von Mishu bequem gemacht und rumpeln über rumänische Straßen. Mishu nimmt sich einen ganzen Tag Zeit und zeigt uns die Gegend rund um Baile Herculane, einem Ort dicht an der Grenze zu Serbien. Die Mehrzahl der Häuser, die an den Fenstern vorüber ziehen, hat ihre Blütezeit lange hinter sich. Die Fassaden bröckeln, Fenster sind zersplittert und der Bahnhof, wo einst Kaiserin Sissi ankam um die Sommermonate hier zu verbringen, ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Man mag sich kaum vorstellen, wie dieser Ort aussehen könnte, wäre dem Verfall rechtzeitig Einhalt geboten worden. Aus Mishus Stimme klingt deutlich Frust und Resignation, wenn er von Korruption und Vetternwirtschaft berichtet, und das Bild, das er von der Zukunft zeichnet, macht wenig Hoffnung.
Zwei Tage zuvor sind wir in Herkulesbad angekommen, wie der Name des Ortes wörtlich übersetzt lautet. Kurz vor dem Ortseingang sind wir rechts von der Hauptstraße abgebogen wie es uns Mishu im Vorfeld beschrieben hatte, und standen kurze Zeit später vor den Zäunen, die das Tierheim begrenzen. Vor einigen Jahren hatte Mishu auf eigene Faust angefangen, Straßenhunde in einer Scheune unterzubringen und sich um sie zu kümmern. Der gemeinnützige Verein Pro Dog Romania ist auf ihn aufmerksam geworden und hat ihn fortan tatkräftig unterstützt. Heute kann man die Früchte dieser Zusammenarbeit sehen wenn man durch das Tierheim läuft. Anders als in dem städtischen Tierheim in Ploiesti, das wir letztes Jahr gemeinsam mit Pro Dog besucht hatten, stehen den aktuell etwa 240 Hunden hier genügend Hundehütten zur Verfügung, die einzelnen Zwinger sind nicht überfüllt und bei der Auswahl der Hunde, die gemeinsam gehalten werden, wird darauf geachtet, dass diese zusammen so gut es geht harmonieren. Wirklich entscheidend ist, dass sich hier Mishu, seine Frau Maria, seine Söhne und ein paar Mitarbeiter rührend um die Hunde kümmern.
Aber all die Zuneigung, die die Tiere hier erfahren, kann nicht darüber hinweg täuschen, welch hartes Schicksal die meisten von ihnen erfahren haben. Ausgesetzt und halb verhungert kommt auch an diesem Tag eine Hündin bei Mishu an. Zusammen mit einer weiteren Hündin und deren drei Welpen kauert sie sich verängstigt in eine hintere Ecke des Kleinbusses und beobachtet alles um sie herum misstrauisch und aufmerksam. Erst allmählich kann man sich ihr nähern. Nachdem sich alle Neuankömmlinge satt gefressen haben bekommen sie eine erste medizinische Versorgung.
Geht man an den Zwingern vorüber so drängen sich die Hunde dicht an die Gitter. Es entbrennt teilweise ein regelrechter Kampf um ein paar Streicheleinheiten oder ein Stück der entgegengestreckten Hand. Man merkt den Tieren an, dass sie sich nach Aufmerksamkeit und Zuneigung sehnen. Andere ihrer Artgenossen sind wiederum so eingeschüchtert, dass sie die Zweibeiner aus sicherer Entfernung beobachten oder ihre kleine Hütte erst gar nicht verlassen. Es ist gut und wichtig, dass Vereine wie Pro Dog mit Menschen wie Mishu vor Ort gemeinsam das Problem angehen und versuchen, die Situation der Straßenhunde zu verbessern. Aber ohne die breite Akzeptanz in der Bevölkerung, etwas Grundlegendes an der Situation verändern zu wollen, ohne ein Umdenken was Kastration und den Umgang mit Tieren angeht, droht es ein endloses Unterfangen zu werden. Man kann nur hoffen, dass eine Veränderung von Seiten des Gesetzes schnell geschieht und dass bis dahin die Unterstützung für Vereine wie Pro Dog nicht abreißt, damit weiterhin die Versorgung der Tiere gewährleistet ist und der Ausbau der Tierheime vorangetrieben werden kann. Wir werden von Mishu und seiner Familie herzlich aufgenommen und fürsorglich bewirtet. Am Nachmittag wird der Grill angeworfen und wir bekommen die leckersten rumänischen Gerichte aufgetischt.
Etwa eine halbe Autostunde südlich von Baile Herculane liegt Orsova. Die Donau bildet hier die natürliche Grenze zu Serbien. Mishu erzählt uns, dass hier zu Ceaucescus Zeiten unternommene Fluchtversuche zahlreiche Opfer forderten, da bei Nacht die zu schwimmende Strecke leicht unterschätzt wird. Unweit des Ortes findet man am Donauufer ein in den Fels geschlagenes Abbild des Dakerkönigs Decebal. Mit 40 Metern Höhe ist dies die höchste Felsskulptur Europas. Insgesamt zwölf Bildhauer waren von 1994 bis 2004 an ihrer Entstehung beteiligt. Wenig später treffen wir durch Zufall einen dieser Bildhauer in Baile Herculane. Er lässt uns auch einen kurzen Blick in die Räumlichkeiten eines erst vor kurzem geschlossenen Museums werfen. Was mit all den Exponaten und dem Gebäude an sich passiert steht noch nicht fest. Vielleicht eröffnet es bald als Diskothek wieder.
In eine ähnlich ungewisse Zukunft blicken viele Bauwerke hier. Die einst prächtigen Gebäude wurden ab 1801 von einem Wiener Architekten im österreichischen Barockstil geplant. Zur Mitte des 19. Jahrhunderts entstand das Wahrzeichen der Stadt, die im Zentrum stehende Herkulesstatue. Als Rohmaterial wurden Kanonenrohre verwendet.
Schon zu Zeiten des Römischen Reiches wurden die Heilquellen hier genutzt und man widmete den bedeutenden Kurort dem Gott Herakles. Auch heute findet man noch zahlreiche Thermen und immer wieder sieht man die Menschen nahe der Wege in den heißen Quellen sitzen.
Wir fühlen uns ein wenig schäbig, wie wir mit unseren Gummistiefeln und schmutziger Kleidung direkt aus dem Tierheim kommend zwischen den ehemaligen Prunkbauten und den Badenden hindurch spazieren. Aber schließlich sollte es sich doch noch auszahlen, die Gummistiefel zu tragen. Einer der Badegäste lädt uns ein, mit ihm in einen der zahlreichen Stollen zu gehen. Zunächst folgen wir einem schwachen Rinnsal. Bald schon bewegen wir uns in völliger Dunkelheit und nur die kleine Taschenlampe des Mannes lässt die groben Felswände des engen Stollens erahnen. Mit jedem Schritt wird es stickiger, die Luftfeuchtigkeit nimmt ebenso rasch zu wie die Hitze. Bald schon waten wir durch annähernd knietiefes Wasser und wir haben Mühe dem forschen Schritt und dem Schein der Lampe zu folgen. Einige Zeit später stehen wir vor einem kleinen unterirdischen Wasserfall und in einer seitlichen Abzweigung befindet sich eine enge Grotte, in der ein paar Leute die natürliche Sauna genießen.
Als wir an einem ehemaligen Kurgebäude vorbeikommen, beschließen wir kurzerhand einen Blick hinein zu werfen. Wir klettern durch ein kaputtes Fenster und stehen mit einem Male vor einem alten Brunnen und über uns spannt sich eine reich verzierte Decke. Wir folgen langen Gängen, jeder in einer anderen Farbe. Tiefe Risse ziehen sich über die hohen Wände und allerorten blättert der Putz von den Mauern. Zu unserem Erstaunen stoßen wir in einem der großen Räume auf einen Fotografen, der gerade mitten im Shooting mit einem Model ist. Und wie es der Zufall will kennen sich Ruth und er schon seit Jahren und stehen per Mail in Kontakt, hatten es aber noch nie geschafft, sich persönlich zu treffen.
Draußen erwartet uns bereits Mishu und macht uns auf eine Viper aufmerksam, die sich eng an den Bordstein schmiegt, als wir wieder auf die Straße klettern.
Er bringt uns zurück zu seinem Zuhause bei den Hunden, die sich so gerne von uns kraulen lassen und begeistert hinter den Bällen herjagen, die Jürgen durch den großen Zwinger wirft. Wenn wir im Sommer wiederkommen, werden viele von ihnen bereits in Deutschland ein neues, hoffentlich liebevolles Heim gefunden haben und die kleinen Welpen werden vermutlich kaum noch wiederzuerkennen sein.
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