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Sarmizegetusa Regia

Tief in den Muntii Sureanu (dt. Brooser Berge) am westlichen Ende des Karpatenbogens siedelten vor über zweitausend Jahren die Daker. Ihr König Decebal, dem es gelang, die zerstrittenen Stämme des Volkes zu vereinigen, ordnete zum Schutz vor Angriffen der Römer den Bau von sechs Festungen an. Die wichtigste unter ihnen und Mittelpunkt der dakischen Welt in den Jahrzehnten um die Geburt Christi herum war Sarmizegetusa (Regia). Schließlich ereilte die Daker aber doch das Schicksal vieler anderer Völker, die sich den Römern entgegenstellten: Sie wurden überrannt und ins Römische Reich eingegliedert. Unter Kaiser Traian übernahmen die Daker im Jahre 106 n.Chr. die römische Ordnung, und viele Jahrhunderte später entstand aus dieser schließlich fruchtbaren Verbindung beider Völker die rumänische Sprache und Identität.

Heute führt uns eine bestens befahrbare Asphaltstrasse von Orastie aus über etwa 18 Kilometer zum kleinen Dorf Gradistea de Munte. Ganz in der Nähe liegen die Überreste der beiden dakischen Festungen Costesti Blidaru und Cetatuie; außer ein paar Mauerresten haben die Römer und der Zahn der Zeit hier aber nicht viel übrig gelassen. Die letzten vier Kilometer müssen wir zu Fuß zurücklegen. Durch den stetig bergauf verlaufenden Marsch entgehen wir erfreulicherweise dem Pulk Besucher, den die unten geparkten Fahrzeuge befürchten liessen. Je höher wir kommen, desto dichter umfängt Nebel die Nadelbäume um uns herum und verwandelt sie in schwarzweiße Schemen.

An solch einem nebelverhangenen Tag mögen auch die Wachen auf den mächtigen Festungsmauern der dakischen Hauptstadt ihre Runden gegangen sein. Aus den weitläufigen nahen Siedlungen auf den Hängen des Berges stiegen zusammen mit dem Rauch auch Stimmen hinauf, bellende Hunde und Marktschreier. Der Wald war gerodet worden und machte Platz für die kleinen, runden Häuser der Daker mit den schiefen, spitzen Dächern, für Eisenverarbeitung und blühende Handelsplätze. Vier nach den Himmelsrichtungen ausgerichtete Tore führten in die auf dem höchsten Punkt des Berges gebaute Festung. Heute haben mächtige Bäume sich den Platz zurückerobert.

Ein breiter, gepflasterter Weg führte quer durch die Festung, er verband das West- mit dem Osttor und erleichterte den Transport von Vorräten, Holz und Steinen. Heute ist von diesem Weg nur ein wenige Meter messendes Rechteck übrig, das man nicht betreten darf - es soll noch viele hundert Jahre überdauern.

Nur wenige hatten immer Zutritt zum Bereich jenseits des Osttores. Mächtige Säulen aus Andesit und Kalkstein trugen hier die Dächer, unter denen die Priester zu den Göttern beteten. Ein schon einige Jahrzehnte andauernder reger Handel und Austausch mit den griechischen Völkern regte vermutlich solche Tempelbauten an. Heute wirken die Überreste der Tempel wie zu groß geratene steinerne Brettspiele inmitten einer Wiese, hie und da liegen verstreut die Bruchstücke einstiger Größe.

Der wichtigste Ort im sakralen Bezirk war ein gewaltiger runder Tempel. Seine Säulen waren aus Holz, in konzentrischen Kreisen umringten sie den Innenreich des Tempels. Unweit davon stand eine große, kreisrunde Scheibe aus Andesit; sie war in sechs identische Ausschnitte eingeteilt, zwischen denen kleine Rinnen den Abfluß von Flüssigkeiten ermöglichten. An besonderen Tagen wurden hier namenlosen Göttern Opfer gebracht. Die Scheibe ist exakt in Nord-Süd-Richtung ausgerichtet, die Priester beschäftigten sich auch mit dem Sternenhimmel.

Wie ein hölzernes Stonehenge wirkt dieses Heiligtum in Sarmizegetusa Regia heute. Die Opferscheibe, genannt "Andesit-Sonne" ist verwittert, die Steine vielerorten zerborsten, aber die Säulen aus Holz ragen immer noch trotzig in den fahlen Himmel. Und wenn man im dichten Nebel zwischen den alten Tempeln und Festungsmauern umherwandert, ist es manchmal als hörte man von Ferne die Stimmen der Vorfahren Rumäniens.

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