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Eine neue Heimat

"Ladoga-Valaamo war damals finnisch," sagt die alte Frau fast so, als müsse sie etwas rechtfertigen. "Die Mönche hatten das Recht, die Ikonen mitzunehmen." Ihr Englisch ist gut und auf ihrer blauen Daunenjacke prangt ein Angry Birds-Aufnäher. Sie steht am Eingang der alten Kirche von Neu-Valaamo und ermuntert uns, den Innenraum des schlichten Holzbaus zu photographieren. Der Ladoga-See sei damals, im Winter 1939/40, tief zugefroren gewesen. Marshall Mannerheim habe Soldaten gesandt, sie beluden zusammen mit den Mönchen Schlitten und Fuhrwerke, gut die Hälfte aller Besitztümer des Klosters konnten sie mitnehmen. Auf einige der geretteten Ikonen scheint jetzt die selten mal aufblitzende Nachmittagssonne. Das Kloster Valaamo von einst ist nur noch ein sentimentales Gemälde an der Wand der kleinen Kirche.

Nicht nur die Mönche haben damals ihre Heimat verloren. In jenem Winter, in dem Finnland sich teils erfolgreich gegen die Rote Armee der Sowjets zur Wehr setzte, mussten auch die Nonnen des Klosters Lintula auf der Karelischen Landenge Richtung Westen fliehen. Sie ließen sich im heutigen Ostfinnland nieder, zogen in die Nähe des neuen Klosters Valaamo. Eine ruhige, schön gepflegte Allee führt auf das Klostergelände, der Friede inmitten der finnischen Wälder ist deutlich spürbar.

Auch in der kleinen, hellen Kirche, in der viele Ikonen aus dem alten Kloster Valaamo hängen. "Nur eine Ikone konnten die Nonnen damals mitnehmen," erklärt uns eine der Helferinnen, die für das Kloster arbeiten, und zeigt uns ein kleines, dunkles Bild der Mutter Gottes mit Jesuskind auf dem Arm.

Sie hätten keine Hilfe von Seiten der Armee gehabt, hätten die Flucht allein meistern müssen. Neun Nonnen leben heute im Kloster Lintula, die jüngste ist um die vierzig, die älteste schon über achtzig. Es fehle der Nachwuchs, berichtet unsere Gesprächspartnerin, auch in Neu-Valaamo seien es nur noch dreizehn Mönche.

Doch diese Handvoll Mönche empfängt ihre Gäste mit offenen Armen. Es gibt nicht nur ein Hotel und einige Gästehäuser, sondern auch noch das Restaurant Trapesa und einen kleinen Ausflugsdampfer, benannt nach dem Gründer des ursprünglichen Valaamo, dem heiligen Sergei, auf dem Klostergelände.

So ist bei aller Ruhe doch nicht allzu viel vom Klosterleben selbst zu spüren, nur hie und da hastet ein Mönch in der typischen, schwarzen Ordenskleidung vorbei. Die kleinen Zwiebeltürme der neuen Klosterkirche glänzen golden, innen ist man überwältigt von perlengeschmückten Ikonen und farbenfrohen Heiligenbildern. Die Frau, bei der man Kerzen erstehen kann für gute Wünsche für die Lebenden und die Toten, trägt eine karelische Tracht, sogar mit Häubchen.

Nachdem wir den kleinen, alten Klosterfriedhof besucht haben, spannt sich ein deutlich sichtbarer Regenbogen über den wolkenverhangenen Himmel.

Am längsten bleiben wir aber in der alten Kirche, die von außen eher wie ein hölzernes Wohnhaus wirkt. Die Wärme des Holzes und die gedämpfte Helligkeit verleihen den Heiligenbildern etwas Altes, Zeitloses. Wir lauschen der Frau mit der blauen Daunenjacke und versuchen uns vorzustellen, wie es für die Mönche damals gewesen sein muss, als sie sich hier eine neue Heimat aufbauen mussten. Sie zeigt uns auch eine Mönchsklause, karg und nur mit dem Nötigsten ausgestattet, Ikonen, Bett, Tisch, Teekocher. "Genau weiß ich es nicht, wie die Zimmer der Mönche heute aussehen," lacht sie, "aber sie haben schon Laptops und Heizung. Und einen elektrischen Teekocher."

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