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Karhufestivaali – Ilomantsi, Nordkarelien

„Kymmenen, yhdeksän, kahdeksan, seitsemän, kuusi, viisi, neljä, kolme, kaksi, yksi!“ rufen die zwei finnischen Damen, beide in ein leuchtend gelbes T-Shirt gekleidet. Als sie fertig von zehn heruntergezählt haben, erfüllt den kleinen angrenzenden Birkenwald ein ohrenbetäubender Lärm. Fast zeitgleich werden dutzende Motorsägen gestartet: Das alljährlich in Ilomantsi stattfindende Karhufestivaali (Bären-Festival) ist eröffnet!

Zwischen den Birken, in kleinen Nischen, ist für jeden der 22 angetretenen Holzkünstler eine Bühne aufgebaut. Motorsägen liegen bereit, von groß bis klein und handlich, das Sägeblatt kaum länger als ein Brotmesser. Dazu Treibstoff, Öl, Farbe, Tritte und Leitern. Und mittendrin ein zwei Meter hoher und nahezu einen Meter dicker Baumstamm. Die ausschließlich männlichen Teilnehmer schreiten auch gleich zur Tat, allerorten fliegen die Sägespäne, wird die Axt ins Holz geschlagen oder der Rohstoff genau vermessen. Nur zwei Tage haben die Künstler Zeit, um unter dem offenen Motto „Freestyle“ aus dem Baumstamm ihre Vision freizulegen – Hauptsache ein Bär kommt darin vor.

Juha Käkelä hat sich ein Motiv aus einer der bedeutendsten finnischen Erzählungen vorgenommen.

Ilomantsi, eine kleine Stadt im äußersten Osten Finnlands, unweit der Grenze zu Russland, ist auf dem besten Wege, die „Stadt der tausend Bären“ zu werden. Wir waren bereits 2015, bei unserer ersten Reise durch Finnisch-Karelien, auf die zahlreichen Bärenskulpturen gestoßen, die überall im Stadtgebiet stehen. Da wir Mitte Juni hier waren, haben wir damals das Schnitzfestival allerdings verpasst. Entstanden ist die Idee zum Karhufestivaali vor über sieben Jahren, erzählt uns Timo Reko vom Maaseudun Sivistysliitto (MSL)(übersetzt etwa: Verein für ländliche Kultur und Entwicklung). Der MSL bemüht sich, die (Handwerks)Kunst, die im ganzen Land von zahlreichen Menschen geschaffen wird, zu bewahren und zu fördern. So auch die in waldreichen Gegenden blühende Fertigkeit im Umgang mit Holz und Kettensäge. Und so fand das Bärenschnitzen 2014 zum ersten Mal statt, und als anstelle der erwarteten 500-1000 Besucher zehnmal so viele kamen, wurde aus einer einmaligen Idee ein alljährlich stattfindender Wettbewerb. Wegen der Corona-Pandemie nehmen in diesem Jahr ausschließlich finnische Schnitzer teil, aber, so berichtet Timo, es kommen auch immer wieder Künstler aus Russland oder Kanada.

Der letztjährige Gewinner kam sogar aus der Mongolei, und seine großartige Skulptur eines diebischen Bären zieht auch uns sofort in ihren Bann.

Auch vor dem hervorragenden karelischen Restaurant "Parppeinpirtti" gleich neben dem sehenswerten Museumsdörfchens Parppeinvaara steht ein Bär, im Jahre 2017 von Juha Käkelä geschaffen.

Unweit des Birkenwäldchens wird auch in einer Art Arena unter den Augen der Zuschauer, die von einer hölzernen Tribüne das Treiben beobachten können, munter gesägt und geschnitzt. Acht Konkurrenten schälen hier ihre Bären aus dem Holz, bei manchen kann man schon am Abend des ersten Tages Schnauzen und Ohren erkennen.

Ein Schnitzer-Duo – in diesem Jahr ist ein Helfer erlaubt – stellt gar Schindeln her, wie sie sonst auf Kirchendächer oder an Häuserfassaden genagelt werden. Wie sich bald herausstellt, wird ihr Bär über und über mit ihnen bedeckt: ein Paanukarhu, ein Schindel-Bär.

Warum aber steht hier der Bär so im Mittelpunkt? Seit jeher spielt dieses Tier hier in Nordkarelien eine sehr große Rolle, in früheren Zeiten wurde er als göttliches Wesen verehrt, als metsän kuningas (fin.: König des Waldes). Die Menschen sahen Parallelen zwischen sich und dem Bären: er kann auch aufrecht stehen, er ist ein Allesfresser. „Und wenn man einen gejagten Bären häutet, dann sieht er aus wie ein sehr muskulöser Mensch“, berichtet uns eine Finnin, deren Schwiegervater einmal im Jahr auf die Bärenjagd geht. Geschätzt etwa 2000 Exemplare leben hier in Ostfinnland nahe der Grenze zu Russland, ein Viertel davon in der Region um Ilomantsi. Hier kann es also, wenn auch sehr selten, passieren, dass ein Bär durch den eigenen Hof streunert. Durch die Legenden und Geschichten dieser Region geistert er jedenfalls schon viele Jahrhunderte. Es ist also kein Wunder, dass die Holzkünstler an diesem Wochenende auch wieder ihn zum Thema haben, das Wesen, das man am besten gar nicht direkt beim Namen (karhu) nennt, läuft man doch sonst Gefahr, ihn anzulocken. Deshalb gibt es auch sehr viele, manche sagen über 200 Umschreibungen für den Bären, wie „Honigpfote“ oder „alter Mann im Pelz“.

In Leo Löppönens Skulptur soll es um eine finnische Legende von einem Bären und einer Frau gehen.

Juha Käkelä legt seine mittlerweile gut sichtbaren Bärchen aus dem Holz frei. In der zugrundeliegenden Geschichte von Aleksis Kivi geht es um sieben Brüder, die eines Tages auf einem Hügel gefangen sind, da Wölfe sie umzingeln. Sie sind zunächst verzweifelt und rufen um Hilfe.

Der zweite Tag lässt die Skulpturen dann wirklich lebendig werden. Hat am ersten Tag noch manch einer mit seiner eigentlichen Idee ein wenig hinter dem Berg gehalten, so schauen uns am zweiten Tag von überall her Bärengesichter an, realistische und vermenschlichte, drollige Jungtiere, Märchengestalten. Die Künstler gehen nun mit feineren Werkzeugen an die Arbeit, es wird geschnitzt, geschliffen, abgeflammt und manchmal auch ein farbiger Anstrich aufgetragen.

Juha verpasst seinen sieben Bären den letzten Schliff. In der Geschichte retten die sieben Brüder sich schließlich selbst, indem sie die Wölfe töten.

Leo Löppönen aus Savonlinna ist eine sehr beeindruckende und berührende Skulptur gelungen.

Wer zwischen all den entstehenden Kunstwerken etwas gegen den Hunger und Durst braucht, kann an ein paar kleinen Ständen traditionelle Köstlichkeiten probieren, wie selbstgemachte Getränke aus Tannentrieben oder Beeren und Kräuterwaffeln. Das normalerweise zeitgleich stattfindende Wild Food Festival muss dieses Jahr wegen der Corona-Pandemie ausfallen.

Am Abend des zweiten Tages stehen sie dann da, die fertigen Bärenskulpturen. Von skurril bis realistisch, von humorvoll bis nachdenklich reichen die Interpretationen des Themas. Es ist unglaublich, was die Künstler hier in insgesamt etwa 12 Stunden aus einem simplen Baumstamm herausgeschält haben, wie wahnsinnig detailreich, realistisch und einfallsreich ihre Werke in dieser kurzen Zeit geworden sind. Wir sind froh, dass wir nicht darüber entscheiden müssen, welche der Skulpturen letztlich den ersten Preis bekommt, denn das würde uns wirklich schwerfallen.

August Eskelinen (links) und sein Helfer Viacheslav Baranov erreichen den 2.Platz mit einer Art Natur-Fabelwesen, das einem Bären zum 7. Geburtstag gratuliert.

Die Gewinnerskulptur von Timo Teittinen kombiniert Holz und Metall zu einem steampunkigen Gesamtkunstwerk.

Neben vielen schönen Erinnerungen und Begegnungen haben wir auch hölzernen Nachwuchs für unsere Bärensammlung zuhause bekommen.

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