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An allem ist Stoker schuld!

Die Zeiten, in denen Bran ein kleines, stilles Dorf war sind lange vorbei. Alte, schwarzweiße Fotografien, die mancherorts zu sehen sind, zeigen aus heutiger Sicht idyllische Szenen, im Hintergrund stets die pittoreske Burg, das Wahrzeichen des Ortes. Heute fehlt Bran auf keiner angebotenen Rumänienreise und ist fester Bestandteil von Ausflügen in diese Gegend. Auch wir machten mittlerweile schon häufiger hier Station und entspannten uns für ein paar Tage. Allerdings geschah dies bisher entweder im Frühjahr oder im Herbst, nie im Hochsommer wenn ganz Rumänien Ferien hat. Wir haben Glück und sind schon sehr früh morgens in Bran auf der Suche nach einem kleinen und günstigen Zimmer. Bei den Leuten, bei denen wir die Male zuvor wohnten, ist leider nichts mehr frei, dafür finden wir direkt gegenüber bei einem sehr netten Ehepaar ein Quartier. Während wir vom Balkon aus den exklusiven Blick auf die Burg geniessen, quält sich bereits eine lange Autoschlange, die schon Kilometer vor dem Ort ihren Anfang nimmt, im Schritttempo durch die Hauptstrasse Brans.

Auch wenn sich mittlerweile in Bran alles um Dracula dreht und es sein Konterfei in allen möglichen Varianten auf Bierkrügen, T-Shirts, Aschenbechern oder Masken angeboten gibt und man im Dracula Supermarkt einkaufen und auf dem Vampire Campingplatz übernachten kann, so hat sich der Ort doch eine entspannte und angenehme Atmosphäre bewahrt. Wir nutzen die Tage hier um ein wenig auszuspannen und Bilder zu sichten und sind froh, nicht die Burg besuchen zu müssen. Außerhalb der Ferienzeit wanderten wir bisher mit nur wenigen anderen Besuchern durch das Gemäuer, heute zieht sich eine Warteschlange über den kompletten, vorgelagerten Markt. Wir möchten uns gar nicht vorstellen, wie es an mancher engen Stelle innerhalb der Burg zugehen mag, wenn diese Besuchermassen Einlaß erhalten. Dabei hat die Burg Bran nicht sehr viel mit Vlad Tepes, dem von Bram Stoker gewählten historischen Vorbild für Dracula gemein. Die Burg diente dem Autor wohl durch ihre imposante Lage lediglich zur Beschreibung des Wohnsitzes des Vampirs. Nichtsdestotrotz läuft die Vermarktung auf Hochtouren. Eine Geisterbahn erwartet die Besucher ebenso wie Karikaturisten auf dem kleinen Rummelplatz unterhalb der Burg.

An den zahlreichen Ständen mit leckeren rumänischen Süßigkeiten kommen auch wir nicht vorbei, ohne etwas zu kaufen. Immerhin hat Jürgen Geburtstag und bekommt zur Feier des Tages ein Lebkuchenherz mit passender Aufschrift.

Für einen Tag wird ein schwarzes Tuch am Turm der Burg ausgerollt. Die in der vorherigen Woche im hohen Alter von 94 Jahren verstorbene Königin Rumäniens hat an diesem Samstag Beerdigung. Und da sie in der Bevölkerung noch zahlreiche Verehrer hat, findet man an vielen bedeutenden Punkten im Land Trauerfahnen oder Flaggen auf Halbmast.

Nur etwa eine halbe Autostunde von Bran entfernt liegt Brasov. Und so verabschieden wir uns für einen Tag vom bunten Trubel und begeben uns in die bedeutende siebenbürgische Stadt. Kronstadt, so der deutsche Name, wurde im Zeitraum von 1951 bis 1961 in Stalinstadt umbenannt. Diese Bezeichnung wurde für alle weithin lesbar in die Wälder der Hügel, die die Stadt umgeben, geschlagen. Heute ziert den Berg Tampa der Schriftzug "Brasov".

Auf dem Weg in die Innenstadt empfängt Brasov seine Besucher mit gepflegten, grünen Parks, in denen gegrillt und gespielt wird. Die entspannte Atmosphäre springt unweigerlich auf uns über. Vor dem Prunkbau des neuen Rathauses steht auf einer Säule die Romulus und Remus säugende Wölfin.

Zentraler Punkt ist der weitläufige Rathausplatz mit dem alten Rathaus, das heute ein historisches Museum beherbergt. Eingefasst von zahlreichen schönen Gebäuden geniessen hier die Besucher und Bewohner gleichermassen das warme Licht der Nachmittagssonne. Ein als Clown verkleideter Luftballonverkäufer bewegt sich wie ein Farbklecks über das Pflaster.

Unweit befindet sich die "Schwarze Kirche". Ihren Namen hat sie einem verheerenden Brand im 17. Jahrhundert zu verdanken, nach dem nur noch die geschwärzten Mauern des Sakralbaus stehenblieben. Sie ist die bedeutendste gotische Kirche Südosteuropas. An ihrer Westseite ist eine Statue von Johannes Honterus zu finden, eines Universalgelehrten und siebenbürgischen Reformators. Sein Name leitet sich von der siebenbürgisch-sächsischen Bezeichnung für Hollunder ab und sein Druckerzeichen bildete die Kronstädter Krone mit dem Wurzelwerk eines Hollunderstrauches. Diese Kombination bildet bis heute das Stadtwappen von Brasov.

In einer Seitengasse des Schei-Viertels kann man eine Synagoge finden und gleich daneben ein koscheres jüdisches Restaurant.

Nach einem ausgedehnten Aufenthalt kommen wir auf dem Rückweg zum Auto zunächst an großen Plakaten vorbei, die auf den baldigen Beginn des Brasover Oktoberfestes hinweisen. Und wenig später passieren wir einen Schnellimbiss, der sofort Ruths Aufmerksamkeit auf sich zieht, besser gesagt die Pandabären, die aussen wie innen zahlreich vertreten sind.

Zurück in Bran freuen wir uns am Abend auf unser Zimmer. Noch immer schiebt sich eine blecherne Schlange durch den kleinen Ort und in unserem Kopf hören wir die Stimme eines Einheimischen, mit dem wir uns unterhalten hatten und der den im Sommer nicht endenwollenden Trubel auf den Punkt brachte: "An allem ist Stoker schuld!"

Aber wer mag es ihm verdenken, wenn er sich an diesem Ort am Ziel seiner Suche nach einer geeigneten Unterkunft für den berühmtesten Blutsauger wähnte. Wenn früh morgens der tiefhängende Nebel in den Kronen der Bäume hängt fällt es uns nicht schwer, die Besuchermassen für einen Moment zu vergessen und man kann sich auch heute noch nur schwer der vorherrschenden Stimmung entziehen.

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